Beschreibung
Aus sieben Heiligenlegenden, die er in der Legendensammlung des lutherischen Theologen Kosegarten findet, macht Keller eine 'erotisch-weltliche Historie', in der 'die Jungfrau Maria die Schutzpatronin der Heiratslustigen ist'. Der 1872 erschienene Novellenzyklus schließt mit dem Tanzlegendchen ab. Dort ist der Himmel vom munteren Treiben der heidnischen Musen erfüllt, die von der Trinität misstrauisch beäugt werden.
Autorenportrait
Gottfried Keller, 19. 7. 1819 Zürich - 15. 7. 1890 ebd. K. wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Sein Vater, ein Drechslermeister, starb 1824; seine Mutter ging 1826 eine zweite Ehe ein, die jedoch 1834 geschieden wurde. Im selben Jahr musste K. wegen eines Schülerstreichs die kantonale Industrieschule verlassen. Er ging als Lehrling zu einem Vedutenmaler, nahm Zeichenunterricht, las, dichtete und malte. 1840 ermöglichte ihm die Mutter das Studium an der Münchner Kunstakademie, das jedoch nicht zum Erfolg führte. Ende 1842 kehrte er nach Zürich zurück und fand Anschluss an die liberalen dt. Emigranten. Stipendien der Züricher Kantonalregierung und die Unterstützung der Mutter erlaubten K. 1848-49 Studien in Heidelberg, wo Ludwig Feuerbach und seine materialistische Philosophie großen Eindruck auf ihn machten, und einen längeren Aufenthalt in Berlin (1850-55). Hier entstanden bedeutende Prosawerke, während er mit seinen dramatischen Plänen scheiterte. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz lebte K. von 1855 bis 1861 ohne Einkommen bei seiner Mutter und seiner Schwester Regula. 1861 wurde er zum Ersten Stadtschreiber des Kantons Zürich gewählt, 1876 legte er das p?ichtbewusst ausgeübte Amt nieder, um sich ausschließlich seinen literarischen Arbeiten zu widmen. Er schloss Freundschaft mit dem Maler Arnold Böcklin und unterhielt durch eine ausgedehnte Korrespondenz freundschaftlichen Verkehr mit P. Heyse und Th. Storm. K. gehört mit seinen beiden Romanen und den meist zu Zyklen zusammengeschlossenen Novellen und anderen kleineren Erzählformen zu den großen Erzählern des bürgerlichen Realismus. Sein autobiographisch geprägter Roman Der grüne Heinrich, der in zwei Fassungen vorliegt, nimmt die Tradition des Bildungsromans auf, doch lässt die Bildungsgeschichte des Helden - eine Folge von Hoffnungen und Enttäuschungen - keine aufsteigende Tendenz erkennen. So verweigert die erste Fassung folgerichtig den Kompromiss zwischen gesellschaftlichen Forderungen und individueller Selbstverwirklichung in der Art des Wilhelm Meister, während sich die Zweitfassung mit ihrer versöhnlichen Schlussperspektive gesellschaftlichnützlicher Tätigkeit der Linie des Goetheschen Gattungsmodells nähert. Die große Spannweite seines Erzählens wird bereits in seinem ersten und bekanntesten seiner Zyklen sichtbar, den im ?ktiven Schweizer Ort Seldwyla angesiedelten Novellen, Märchen und Beispielgeschichten, die vom Grotesken zum Tragischen, vom Komisch-Heiteren zum Satirischen reichen. Ihre Einheit gewinnen sie durch den Keller-Ton (Th. Fontane) mit seiner vom Gegenständlichen ausgehenden Ausdrucksvielfalt, seinen unmerklichen Übergängen von arabeskenreicher Verspieltheit zu hintergründiger oder aggressiver Satire, seiner Ironie und seinem Humor. Weitere Facetten seiner Erzählkunst zeigen die erotisch-weltlichen Kontrafakturen und Parodien frömmelnder Legendenvorlagen in den Sieben Legenden, die in den Züricher Novellen nicht ohne pädagogische Absicht unternommenen Versuche, durch den Blick auf geschichtliche Beispiele den Wert bürgerlichen Gemeinsinns, zeitlos gültiger Ordnungen und wahrer Menschlichkeit sichtbar zu machen und die um die Antithese von Sein und Schein kreisenden Liebesgeschichten des Sinngedichts, bei dem der Rahmen selbst zur Novelle wird. K.s Distanzierung von der Entwicklung der Gegenwart, die bereits in der Hinwendung zur Geschichte in den Züricher Novellen deutlich geworden war, ?ndet ihre düstere Fortsetzung in seinem zweiten Roman, Martin Salander, einer Abrechnung mit dem gründerzeitlichen Kapitalismus und dem Schwindelgeist einer hohlen Fortschrittsideologie, die die alten demokratischen Ideale von 1848 aufgegeben hat und jeder moralischen und geschichtlichen Grundlage entbehrt. K.s Lyrik steht im Schatten des erzählerischen Werks. In den 40er-Jahren inspirierte ihn die politische Lyrik der Zeit (G. Herwegh, A. Grün); nach der Enttäuschung von 1848 trat dann die Naturlyrik in den Vordergrund, die im Begreifen der Schönheit und der Fülle der Erde auch die Religionskritik Feuerbachs re?ektiert. Seine letzte Sammlung enthält an Neuem neben dem bekannten Abendlied v. a. K.s Fest- und Gelegenheitsdichtungen, mit denen sich K. am öffentlichen Leben seiner Heimat beteiligte. In: Reclams Lexikon der deutschsprachigen Autoren. Von Volker Meid. 2., aktual. und erw. Aufl. Stuttgart: Reclam, 2006. (UB 17664.) - © 2001, 2006 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart.
Inhalt
Eugenia - Die Jungfrau und der Teufel - Die Jungfrau als Ritter - Die Jungfrau und die Nonne - Der schlimm-heilige Vitalis - Dorotheas Blumenkörbchen - Das Tanzlegendchen