Beschreibung
Hochaktuelle Beschreibung der Mafia nach Verhaftung ihres Kopfes im April 2006 Die minutiös recherchierte und spannend erzählte Darstellung einer der gefährlichsten kriminellen Organisationen der Welt. Im Frühjahr 2006 gelang den italienischen Ermittlungsbehörden der absolute Coup: Bernardo Provenzano, Boss der Bosse der Cosa Nostra, wurde nach über vierzig Jahren im Untergrund verhaftet. Seitdem ist die größte Verbrecherorganisation der Welt wieder ein Thema in den Medien: Kommt es zu einem neuen Mafiakrieg? Oder ist die Organisation am Ende? Henning Klüver, langjähriger Italien-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, erzählt die Geschichte der Cosa Nostra und ihrer Hochburg Palermo und liefert eine profunde Analyse des gegenwärtigen Zustands der Mafia und ihrer Verflechtung mit der italienischen Gesellschaft.
Leseprobe
Kann man Mafia sehen? Sizilien und Palermo heute - Abgrenzung der Cosa Nostra zu anderen mafiosen Strukturen und deren Geschäften -Mythos Mafia Renato Cortese, Leiter einer Spezialeinheit der Kripo Palermo, sitzt im ersten Fahrzeug der kleinen Wagenkolonne, die sich langsam in Richtung Corleone bewegt. Die Nerven des Commissarios sind zum Zerreißen gespannt. Am Rande des Ortes, am Hang einer Erhebung, die Montagna dei Cavalli genannt wird, soll sich der Gesuchte in einem kleinen Feldhaus versteckt halten. 'Luchs', ein Ermittler, der die Bilder einer Überwachungskamera kontrolliert, hat gemeldet: 'Alles ruhig.' Lediglich Giovanni Marino, ein kleiner, etwas schwerfällig wirkender Mann mittleren Alters, ist wie jeden Morgen zu seinem casolare, seinem Feldhaus, gekommen. Dort stellt er aus Schafsmilch Ricotta, eine Art Quark, und andere Käsesorten her, die in Corleone wegen ihrer Güte geschätzt werden. Vom gegenüber gelegenen Hügel aus, auf dem eine Statue des heiligen Bernardo über Corleone Wache hält, nähern sich die Zivilfahrzeuge der Polizeikolonne der Montagna dei Cavalli. Nach monatelangen Untersuchungen, stundenlangem Abhören von Telefonaten, schwierigen Überwachungen von Verdächtigen durch Videokameras sind die Ermittler sicher, dass sich außer Marino noch jemand anderer im Casolare befinden muss. Ist das der Mann, der sich seit 43 Jahren vor der Polizei versteckt? Den die Spezialeinheit von Renato Cortese seit acht Jahren sucht? In der langen Zeit seiner Flucht hatte er sich jeder Verhaftung entzogen, war es ihm immer wieder gelungen, im letzten Augenblick zu entkommen. In der Öffentlichkeit waren bereits Gerüchte im Umlauf, er sei längst gestorben. Jagt Renato Cortese ein Phantom? Bei einem letzten Briefing ein paar Kilometer vor dem Ziel gibt der Commissario die Anweisung: Er und zwei, drei andere werden sofort ins Feldhaus stürmen, die anderen Männer sollen das Gelände möglichst weit umstellen, um Ausgänge eventueller unterirdischer Fluchtwege zu blockieren. 'Möglichst weit, ist das klar?' Plötzlich, vier Kilometer vor dem Ziel, meldet sich 'Luchs': 'Halt, ein Fahrzeug kommt.' Nervosität befällt die Männer des Commissario. Was zum Teufel macht dieses Auto da? Wer sitzt drin? Sollte der Gesuchte wieder einmal im letzten Moment entwischen? Renato Cortese gibt der Kolonne Anweisung, sich langsam, nur im Schritttempo weiterzubewegen. Sekunden verstreichen, die eine Ewigkeit dauern. Dann meldet sich 'Luchs' wieder: Alles in Ordnung, eine Person habe ein paar Worte mit Marino gewechselt, sich Käse geben lassen und sei wieder weggefahren. Der Commissario atmet langsam durch. Und gibt das Kommando: 'Los!' Es ist der 11. April 2006, 11.21 Uhr. Ankunft in Palermo Wenn ich Palermo anfliege, habe ich oft das merkwürdige Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren - eine absurde Empfindung, weil doch in Wirklichkeit genau das Gegenteil geschieht. Das Flugzeug senkt sich aus 10 000 Meter Höhe ab, das tiefblaue, in der Sonne glitzernde Meer kommt näher, bald kann man die leichten Schaumkuppen auf dem Wellenmuster gut erkennen, das von der Fahrspur einer weißen Fähre durchschnitten wird. Und wenn dann die Konturen Siziliens sichtbar werden, schwenkt die Maschine auf eine Route parallel zur Küste ein. Links zieht die Stadt vorbei, auf den ersten Blick eine helle Stein- und Betonmasse, die sich einen Weg durch die sie umgebenden Vorgebirge gebahnt hat und sich dann zwischen Bäumen, Sträuchern und Felsen verliert. Jetzt fliegen wir dicht über dem Wasser, vorbei an bedrohlich nahen Felsformationen, die mit kleinen Strandabschnitten wechseln und mit Häusergruppen, die in Orangenhaine eingebettet sind. Und während man glaubt, in die leichten Wellen greifen zu können, die unter dem Flugzeug dem Ufer entgegenlaufen, verschwindet das Wasser, braunes Gras kommt immer näher, eine Schnellstraße verläuft plötzlich quer zu unserem Anflug, dann noch ein Schienenstrang, und unmittelbar danach setzt die Maschine auf der Landebahn de