Beschreibung
Eyvinder Jonsson, genannt "Stormur" (=Sturm), ist für manche seiner Mitmenschen ein Genie - und für andere eine wahre Pest. Ein Hang zur Bequemlichkeit zeichnet ihn aus: und seine Neigung, die Frauen seines Lebens für sich arbeiten zu lassen, ist hinreichend bekannt. Stormur schlägt sich mehr schlecht als recht durchs Leben, als ihn das Angebot eines isländischen Verlags ereilt. Man plant ein Buch, das im Milieu der Obdachlosen und Alkoholiker spielt, und sucht nun jemanden, der vor den Medien möglichst authentisch den angeblichen Autor des Ganzen verkörpert. Übersetzt von Kristof Magnusson, der für seinen Debütroman "Zu Hause" mit dem Rauriser Literaturpreis ausgezeichnet wurde.
Leseprobe
Obwohl ich die schlechteste 'Reifeprüfung' der ganzen Schule machte, so wurde damals die Prüfung nach der siebten Klasse genannt, war ich eins der beiden Kinder, die der Lehrer in seiner Abschiedsrede lobend erwähnte: die Klassenbeste und mich. Die Klassenbeste war eine echte Streberin, Addi, Kinderärztin ist die, glaube ich, geworden, die dumme Kuh. Die hatte fast überall eine Zehn, und alle anderen hatten mindestens eine Acht oder Neun. Ich war auf der katholischen Schule, die war ziemlich klein, wir waren nur wenige in der Klasse, und der Notendurchschnitt lag um einiges höher als an anderen Schulen, nur ich krebste da rum mit Sieben-Komma-Irgendwas und hatte mich schon damit abgefunden, als Schandfleck der Schule zu gelten - aber der Lehrer bedankte sich, nun wo sich unsere Wege trennten, mit allen möglichen sentimentalen Worten, lobte erst Addi für ihren Erfolg, 'und dann ist da noch jemand, der ein besonderes Kompliment verdient hat, und das ist unser Eyvindur hier; dieser Junge hat einen unglaublichen Erfolg erzielt, trotz schwierigster Verhältnisse, einen Erfolg, der seine Begabungen und Talente eindrucksvoll unter Beweis stellt, und wenn er so weitermacht, sollte es ihm gelingen, auf seinem Lebensweg einige Untiefen und Gefahren zu meiden.' Natürlich hört man das irgendwie gern, man hat ja vorher noch nie ein Kompliment für seine Begabungen bekommen, außer höchstens beim Handball, und erst recht nicht für seine Talente! Aber am meisten wunderte es mich, dass sich die anderen überhaupt Gedanken über mich machten, über meine Herkunft, wo ich doch versucht habe, in der Schule so wenig Aufhebens davon zu machen wie möglich, man hat sich natürlich geschämt für seine Leute, niemals konnte ich Geburtstag feiern wie die anderen Kinder, wegen der Säufer und diesem ganzen Gesocks, das bei uns ein und aus ging, da war es natürlich nett, die Komplimente dieses Lehrers zu hören, als hätte der mich wirklich gern. Der war kein schlechter Kerl, vielleicht sogar ganz im Gegenteil, man konnte seinen Spaß mit ihm haben, er hatte einen guten Draht zu seinen Schülern, hat sich engagiert, versucht, alles von der spielerischen Seite zu sehen, ist auf die Kinder zugegangen, wollte ihnen auf Augenhöhe begegnen. Ich weiß noch, wie wir mal ein neues Grammatikbuch bekamen, da sagte er: 'Kinder, ich weiß, dass ihr dieses Buch, nachdem ihr es durchgeblättert habt, sofort in die Ecke schmeißen werdet. Aber tut mir einen Gefallen, Kinder: Kriecht hinterher, und holt es wieder hervor!' Wie ich später erfuhr, hatte er auch ganz schöne Probleme am Hals, seine Frau ist mit einem Ami abgehauen, einfach so; eines Tages lag ein Zettel auf dem Küchentisch, bin nach Amerika gezogen, liebe Grüße, Mama - er blieb zurück mit vier oder fünf Kindern, und das, obwohl er doch selber gern mal einen draufmachte; er besoff sich gern und fuhr dann mit dem Taxi rum und wurde sentimental und redselig; trank aus seinem Flachmann und philosophierte mit dem Taxifahrer - und hielt trotzdem die Familie zusammen, unterrichtete und unterrichtete. Er war starker Raucher, in den ersten Minuten jeder Stunde qualmte es regelrecht aus ihm raus, kalte Rauchschwaden, die Lunge reinigte sich noch von der Pausenzigarette. Einmal, in Gesundheitslehre glaube ich, in der Unterrichtseinheit über das Rauchen, sagte er mit seiner Whiskey-Camel-Stimme: 'Ich weiß, was ihr denkt: Ausgerechnet dieser Mann will uns etwas über die Gefahren des Rauchens erzählen! Denn wie ihr wisst, bin ich auf diesem Gebiet nicht gerade ein leuchtendes Vorbild. Aber ich möchte euch ein Experiment zeigen.' Dann holte er aus der Jacketttasche eine zerknitterte Camel-Packung und ein Ronson-Feuerzeug heraus, zog ein Taschentuch aus der Brusttasche, ging zur Tür, horchte und kuckte auf den Flur, nicht dass der Schulleiter oder der Oberlehrer plötzlich reinkamen, während das Experiment im Gange war. Dann öffnete er weit das Fenster, zündete die Kippe an, sog eine dicke Rauchwolke in die Lungen und stieß sie geg Leseprobe