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In Eisenbahnen, in Bädern und auf Schiffen, in Kurorten, Hotels und Pensionen lebt ein fremd- und bösartiges Tier: der Mitreisende. Er treibt dort sein Wesen, niemandem zur Freude, von jedem gefürchtet und gemieden; immer wieder fragt man sich, wozu es ihn eigentlich gibt. Das höchste Lob, das ihm gelegentlich gespendet wird, ist, daß man manchmal nichts, oder doch nur wenig, von ihm bemerkt. Im übrigen gehört er in eine Klasse mit den Stechmücken, Haifischen, Schlangen und Bazillen. Wie alle diese Wesen ist er selbstverständlich unschuldig an seiner höchst überflüssigen Existenz. Sie alle tun nur, was sie nach Gottes unerforschlichem Ratschluß nun einmal tun müssen; die Mücke sticht und der Haifisch beißt, und so weiter. Der Beruf des Mitreisenden ist es, zu stören. Er stört. Schon ehe er auftritt, stört er. Wie riesenhafte plattgedrückte Käsemaden oder abstoßende Bandwürmer hängen oben über den Fensterplätzen - immer gerade über den Fensterplätzen, das versteht sich! - Spruchbänder herunter, die ankündigen, daß diese Plätze reserviert sind. Für wen sind sie reserviert? Für den Mitreisenden natürlich! Man kann sich denken, mit welchen Gefühlen er erwartet wird. Und dann tritt er auf und grüßt mit seinem Gruß. Der Gruß des Mitreisenden heißt: 'Sie gestatten wohl!' (Abgekürzt: 'Gestatten!') Und zähneknirschend gestattet man, daß der Mitreisende sich einnistet und es sich bequem macht, der Parasit! Man gestattet, daß er einem den Handkoffer mit dem Unterwegsroman darin unter Bergen von Schrankkoffern und Gebirgsausrüstungen begräbt, daß er kategorisch ein für allemal das Fenster schließt ('Hier zieht's aber! Gestatten Sie!'), daß er im Nichtraucherabteil seine Zigarre ansteckt, nachdem er seine Käsebrote gegessen hat, daß er eine ganze Familie mit drei unerzogenen Kindern, Säugling und Hund hereinwinkt: 'Hier herein, schnell, schnell, hier ist es noch ganz leer!' Der Mitreisende bringt es tatsächlich fertig, ein Abteil als ganz leer zu bezeichnen, in dem man sitzt! Wenn man eben in den Speisewagen gehen will, kann man sicher sein, vom Mitreisenden wie folgt angeredet zu werden: 'Ach, Sie achten wohl ein bißchen auf meine Sachen, ja? Ich gehe eben mal in den Speisewagen!' Dann bleibt er zwei Stunden lang fort. Geht man schließlich knurrenden Magens selbst in den Speisewagen, so demonstriert einem dort der Mitreisende auf ein Meter Entfernung seine Unfähigkeit im Spaghettiessen und seine Fähigkeiten im Gebrauch des Zahnstochers. Es ist wahrscheinlich ein anderer Mitreisender, aber was hilft einem das! Der Mitreisende ist überhaupt kein einzelner Mensch, der zufällig schlechte Manieren hat. (Es gibt sogar Mitreisende mit guten Manieren.) Der Mitreisende ist ein grauenvolles Kollektivwesen ohne Gesicht und Namen, behaftet mit der Fähigkeit zu allen schlechten Manieren sowie mit dem Fluch, durch sein Dasein zu stören. Der Mitreisende schläft nach Tisch im Sitzen. Der Mitreisende schnarcht, wenn er schläft. Wenn man das Abteil verläßt, liest er einem inzwischen die Zeitung aus, und auf der Toilette hat er die Seife gestohlen. Kein noch so dicht vor die Nase gehaltenes Buch schützt vor der Lebensgeschichte des Mitreisenden. Der Mitreisende ist mit allen Mitteln bestrebt zu beweisen, daß er auch ein Mensch ist. Er hat eine harte Jugend gehabt. Jetzt reist er zu Verwandten nach Gütersloh. Die Leute haben's auch nicht leicht! Die Schweinepreise sind zu hoch, beziehungsweise zu niedrig. Hamsun, den man gerade liest, mag er nicht. Der ist ihm eindeutig zu hoch. Man glaube nicht, den Mitreisenden los zu sein, wenn er aussteigt. Er steigt nur aus, um einem andern seinesgleichen die Klinke in die Hand zu geben. Schon hört man wieder das vertraute 'Gestatten!'. Wo käme die Reichsbahn auch hin, wenn es anders wäre! Man glaube nicht, den Mitreisenden los zu sein, wenn man selber aussteigt. Jetzt wechselt er nur den Namen. Von jetzt an heißt er Zimmernachbar. Der Zimmernachbar ist um einen Grad gehe ... Leseprobe