Beschreibung
In unserer Zeit von einer europäischen Identität zu sprechen, oder gar von einem humanistischen Erbe, das uns in die Hände gelegt worden ist, wäre frivol, ja ruchlos. Denn das hieße nichts Geringeres, als dass wir mit einiger Gewissheit sagen könnten, wie wir uns religiös, politisch und moralisch zu verstehen haben, welcher kulturelle Auftrag uns gegeben ist, was wir weiterzutragen und zu beschützen haben. Für den Einzelnen mag dies sogar möglich sein, und in religiöser Hinsicht ist es nie zu spät. Kulturell aber - und wir leben nun einmal im Hier und Jetzt, wir sind mit einer zweiten, für gewöhnlich rauen Haut überzogen - kann von solcher Gewissheit keine Rede sein. Eher verhält es sich so, dass die höchst unterschiedlich geformten, berückend schönen Kristalle der abendländischen Tradition frei durch den Raum schweben und die Geistesarbeiter unablässig damit beschäftigt sind, die besten von ihnen einzufangen, sie zusammenzulegen und darüber nachzudenken, ob und wie sie zueinander passen könnten. Ob die friedliche Ruhe oder Zustände des Glückes, die sich im Blick auf geordnete und schöne Dinge einstellen, nur eine menschliche Einbildung oder bereits eine Ahnung vom Höheren sind, ist die religiöse Kardinalfrage, die jenseits der kulturellen Zersplitterung, bereits als Problem formuliert, Trost zu spenden vermag.