Beschreibung
KURZTEXT Auf der Grundlage seiner langjährigen Erfahrungen in den USA zeichnet Claus Kleber ein differenziertes Bild der letzten Supermacht. Als intimer Kenner des Landes versteht er, wie konservativ Amerika in seinem Herzen ist. Er setzt einem wohlfeilen Antiamerikanismus eine ebenso fundierte wie kritische Bestandsaufnahme der amerikanischen Politik und Gesellschaft entgegen. ZU DIESEM BUCH Von Kritikern wie von glühenden Verehrern werden die USA heute als 'das neue Rom' bezeichnet. Kein anderer Staat in der Geschichte war jemals so mächtig, keine andere Kultur hat die Welt vergleichbar beeinflusst. Dabei geht es um mehr als die militärische und wirtschaftliche Vormachtstellung - viele meinen, die USA führten Kreuzzüge gegen all jene, die sich ihrer Weltsicht verweigern. Was aber steht tatsächlich hinter dem kulturellen und militärischen Selbst- und Sendungsbewusstsein Amerikas? Claus Kleber zeichnet ein differenziertes Bild der Supermacht, das sich wohltuend abhebt von den eifernden Anklagen gegen das Amerika unter George Bush. Entstanden ist eine vielschichtige Analyse und ein aufschlussreiches Psychogramm der amerikanischen Gesellschaft und ihrer Politik.
Leseprobe
Um es gleich zu sagen Amerika das ist für mich nicht in erster Linie ein politischer Begriff. Eher ein Zauberwort, das Erinnerungen wachruft. An das Nordufer des Grand Canyon bei Sonnenuntergang zum Beispiel. Tief unter uns liegt das silberne Band des Colorado. Die Touristensaison ist längst zu Ende, Schnee liegt in der Luft, und es ist so still, dass wir regungslos bleiben, damit das Rascheln der Windjacken nicht stört. In einem einzigen Augenblick konzentriert sich die ganze Schönheit dieses Kontinents. Erinnerungen an New York am frühen Sonntagmorgen, eine Fahrt im alten Cabriolet die menschenleere Fifth Avenue hinauf zum golden schimmernden PanAmBuilding, das stumme Staunen unserer Kinder im Rücken. Erinnerungen an hundert Begegnungen mit der einzigartigen Mischung aus Pioniergeist und kindlichem Glauben, die nichts von Hindernissen wissen will und alles für möglich hält. An einen strahlenden jungen Präsidenten, der es wagte, nach jämmerlich gescheiterten Raketenexperimenten den Blick nach vorn zu richten und zu sagen: 'In weniger als neun Jahren sind wir auf dem Mond.' An eine Nation, die ihn dafür nicht auslachte, sondern ihn bewunderte und ihm folgte. Erinnerungen an ein Land, in dem ein Bettler in Philadelphia mir erklärte: 'Das System ist schon in Ordnung. Daran, dass ich es nicht geschafft habe, sind doch nicht die anderen schuld.' Und an einen Obdachlosen in Miami, einen sehr alten Mann, der Zeigefinger und Daumen aneinander legte, mir tief in die Augen schaute und sagte: 'Siehst du das? Ich kann mich bewegen, wie ich möchte. Meine Hände tun, was ich ihnen sage. Wir rasen mit atemberaubender Geschwindigkeit um die Sonne und mit ihr durch den Kosmos. Ich habe es warm, ich finde jede Nacht einen Platz zum Schlafen, das Leben ist wundervoll.' Noch immer habe ich für mich kein endgültiges Urteil gefällt über dieses Land, das hierzulande als erbarmungslos gilt und doch, wie ich gesehen habe, oft besser für seine Behinderten, für seine sozial Schwachen und für seine großen Begabungen sorgt, als uns das gelingt; das immer wieder eine treibende Kraft für das Gute war, obwohl es auch irrte und von seinen Führern getäuscht wurde; das in seinen Südstaaten, in seinen Städten und im Ausland, von Vietnam bis San Salvador, von Santiago de Chile bis Bagdad, immer wieder schreckliche Fehler machte - die meisten durch das Handeln, während die Fehler meines Landes in den letzten Jahrzehnten meist durch die Angst vor dem Handeln entstanden. Ich will die Beweggründe einer Nation beschreiben, die es nun unternimmt, die Welt nach ihrem Vorbild zu gestalten, weil sie tatsächlich daran glaubt, dass die Welt damit besser wird. Die zentrale Figur dieses dramatischen Kapitels amerikanischer Geschichte ist 'Bush 43', wie sie den 43. Präsidenten der USA auf den Fluren des Weißen Hauses nennen. Ich bin ihm viele Male begegnet, aber nur zweimal zu einem persönlichen Gespräch. Eines fand im Frühjahr 2002 statt, mit allen protokollarischen Attributen eines Präsidenteninterviews im Weißen Haus. Es war ein kritischer Moment. Seine Armee traf gerade die letzten Vorbereitungen für den Angriff auf den Irak. Der Oberkommandierende der Weltmacht unternahm gerade noch einen Versuch, Verbündete für seinen Krieg zu finden. Es war also ein wichtiges Interview. Rückblickend glaube ich heute aber, dass ich den besten Eindruck vom Charakter dieses Mannes in einem viel weniger eindrucksvollen Rahmen gewonnen habe: bei meiner ersten Begegnung mit ihm, in einem Wortwechsel, den ich damals gar nicht so wichtig fand. Es war im Gang seines Flugzeugs, im Wahlkampf 2000. Wir sprachen über die Todesstrafe in Amerika, die er energisch befürwortet und die er damals als Gouverneur von Texas ohne Nachsicht vollstrecken ließ. 'Ich glaube an diese Strafe, weil sie abschreckend wirkt und damit Verbrechen verhindert', erklärte er mir. Ich widersprach ihm: 'Governor, die Wissenschaft belegt das Gegenteil. Es gibt keine Beweise dafür, dass die Todesstrafe eine abschreckend Leseprobe