Beschreibung
Das Papsttum hält sich stabil im Strukturwandel der Öffentlichkeit. Seine Fähigkeit, Innovationen der Medienlandschaft aufzugreifen, setzt es dabei ein, um moralische Leitlinien für politisches Handeln und eigene Machtansprüche zu formulieren. Dieser interdisziplinäre Band zeigt, welche Kommunikationsstrategien der Vatikan nutzt, um den Papst im Zusammenspiel von Text und Bild als politischen Akteur zu inszenieren, und wie diese medial aufgegriffen und verwandelt werden.
Autorenportrait
Mariano Barbato ist außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft an der Universität Passau und Associate Professor (zugleich DAAD-Langzeitdozent) an der Andrassy Universität Budapest. Er lehrte im Winter 2021/2022 als Una Europa Gastprofessor und im Sommer 2022 als Gastprofessor für Internationale Beziehungen am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. Melanie Barbato, Dr. phil., forscht an der Universität Münster und am Oxford Centre for Hindu Studies. Johannes Löffler ist Politikwissenschaftler und war von 2016 bis 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centrum für Religion und Moderne der Universität Münster.
Leseprobe
Vorwort Setzt man den Aufstieg der Öffentlichkeit in der Aufklärung und mit der Französischen Revolution an, erscheint das Papsttum als deren vermeintlich unweigerlich niedergehender Antipode. Selbst im fortgeschrittenen Strukturwandel spät- oder postmoderner Öffentlichkeit verschwand das Papsttum jedoch weder in privaten Nischen noch im Museum. Entgegen den Erwartungen einer linearen Säkularisierungstheorie erlebte das Papsttum vielmehr eine globale Renaissance. Die Parameter einer aufziehenden digitalen Öffentlichkeit erscheinen erst undeutlich. Anzeichen für einen Abschwung der päpstlichen Konjunktur sind jedoch keine in Sicht - im Gegenteil. Auf dem Titelbild dieses Bandes flattert die Trikolore grüßend über dem Haupt des Papstes, während er durch die Pilgermassen des Petersplatzes die Runden seines modernen römischen Triumphzugs zieht. Hinter dem Papst erkennt man die exklusive Fernsehkamera des Vatikans, die alle Medien mit päpstlichen Bildern versorgt. Im Vordergrund halten Papstpilger die Kameras ihrer mobilen Geräte gezückt, vermutlich auch um die Bilder in den sozialen Medien zu teilen. Solche und ähnliche Szenen spielen sich nicht nur auf dem Petersplatz ab. Überall, wo der Papst in der Öffentlichkeit auftritt, um seine oft kontroversen Positionen zu äußern, schlägt ihm nicht nur öffentliche Kritik, sondern auch öffentlicher Jubel entgegen. Der Band versucht zu klären, wie das passieren konnte. Die Beiträge beruhen überwiegend auf ausgewählten Vorträgen der internationalen und interdisziplinären Tagung "Popes on the Rise! Mobilization, Media, and Political Power of the Modern Papacy/Der politische Aufstieg des Papsttums: Mobilisierung, Medien und die Macht der modernen Päpste", die in Zusammenarbeit des Centrums für Religion und Moderne der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster mit dem Römischen Institut der Görres-Gesellschaft vom 22. bis 26. März 2017 in der Aula Papst Benedikt XVI. am Campo Santo Teutonico in Rom stattfand. Die vertieften Konferenzbeiträge wurden ergänzt durch die Beiträge von Mariano Barbato, Melanie Barbato, Axel Heck und Gerulf Hirt. Während die Tagung die Frage nach dem Aufstieg des Papsttums breit anging, konzentriert sich der vorliegende Band auf das Interesse an der historischen Entwicklung der vatikanischen Kommunikations- und Inszenierungsstrategien und deren medialen Resonanzen in der Perspektive des heraufziehenden digitalen Zeitalters. Die Interdisziplinarität und Methodenvielfalt der Beiträge erlauben den Versuch, den auf sehr unterschiedlichem Terrain verzweigten Wegen zum digitalen Papsttum in einigen wichtigen Wegabschnitten zu folgen. Mit diesem Versuch möchte der Band einen zentralen Mosaikstein zum Puzzle des Papsttums im Strukturwandel der Öffentlichkeit bereitlegen - freilich ohne den Anspruch zu erheben, das mediale Wegenetz der Päpste damit vollständig darstellen zu können. Über das spezifische Interesse am Papsttum hinaus zielen die Analysen des unerwarteten Phänomens päpstlicher Stabilität im Wandel auf ein breites und vertieftes Verständnis des Strukturwandels der Öffentlichkeit. Als Publikation der genannten Tagung am Campo Santo steht der Band im Zusammenhang bereits erfolgter Publikationen von Konferenzbeiträgen mit anderen Auswahlkriterien. Unter dem Titel Popes on the Rise! erschienen 2017 als special issue der Review of Faith & International Affairs Beiträge mit politikwissenschaftlicher Schwerpunktsetzung auf den internationalen Beziehungen des Heiligen Stuhls. 2017 und 2018 erschienen eingeleitet von einem programmatischen Tagungsbericht historisch orientierte Beiträge als Forum der Römischen Quartalsschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte. Der Publikationsprozess der Konferenz läuft weiter. Die Konferenz und ihre Publikationen gehören zu den Arbeiten des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Forschungsprojekts "Legions of the Pope: A Case Study of Social and Political Transformations/Die Legionen des Papstes. Eine Fallstudie sozialer und politischer Transformation", das seit Herbst 2015 am Münsteraner Centrum für Religion und Moderne umgesetzt wird. Den Druckkostenzuschuss für diesen Band stellte das Excellenzcluster Politik und Religion der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zur Verfügung. Als Herausgeber bedanken wir uns bei den Verantwortlichen der DFG und des Excellenzclusters für die gewährte Finanzierung. Bedanken möchten wir uns auch bei Stefan Heid, Direktor des Römischen Instituts der Görres-Gesellschaft, mit dem zusammen die Tagung organisiert und aus dessen Mitteln ebenfalls ein gewichtiger Beitrag zur Finanzierung der Konferenz geleistet wurde. In den herzlichen Dank schließen wir alle Unterstützer und Gäste der Konferenz ein. Unser herzlicher Dank gilt auch den Kolleginnen und Kollegen am Centrum für Religion und Moderne für ihre Unterstützung und die gute Zusammenarbeit, namentlich Astrid Reuter, Daniel Gerster und Ulrich Willems. Danken möchten wir schließlich den Reihenherausgebern für die Aufnahme des Bandes, dem Lektor des Campus Verlages, Jürgen Hotz, für seine freundliche und effiziente Betreuung und nicht zuletzt den Autoren für die angenehme Zusammenarbeit. Münster, 29. Juni 2018 Mariano Barbato Melanie Barbato Johannes Löffler Das Papsttum im Strukturwandel der Öffentlichkeit Mariano Barbato Gehört der Papst mit Bild und Wort in die Öffentlichkeit und wenn ja, in welche? Seinem Selbstverständnis nach spricht der Papst jedenfalls nicht nur zum binnenkirchlichen Publikum einer Teilöffentlichkeit, sondern zu einer integrativ eingestellten politischen Weltöffentlichkeit. Der Papst richtet seine sozialethischen Rundschreiben nicht nur an Katholiken, sondern an alle Menschen guten Willens. Er greift appellativ tagespolitische Themen beim allsonntäglichen Angelusgebet am Fenster des Papstpalastes auf und hält auf seinen Weltreisen vor Massen auf den Plätzen und Abgeordneten in den Parlamenten Ansprachen mit allgemeinem Gültigkeitsanspruch. Bereits im Zeitalter der Massenmedien versuchte der Pontifex mit Radioappellen und Fernsehansprachen ins Weltgeschehen einzugreifen und trägt im aufziehenden digitalen Zeitalter zum Grundrauschen der sozialen Medien mit Twitternachrichten und Instagrambildern bei. Eine positive Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit einer öffentlichen Rolle für das Papsttum ergibt sich so schon aus dem empirischen Augenschein der auf mediale Dauerpräsenz gestellten Kommunikationsstrategie des Vatikans, die ohne breite Resonanz, kritische wie affirmative, nicht möglich wäre. Den ohnehin aus säkularisierungstheoretischer Perspektive nicht unproblematischen Befund päpstlicher Omnipräsenz verschärft das Papsttum durch die praktische und explizite Verweigerung, sich als Nichtregierungsorganisation in die Logik einer zivilgesellschaftlich strukturierten oder auch autoritär formierten Öffentlichkeit einzufinden. Wie es dem Papsttum gelang, als Heiliger Stuhl seinen Status als Völkerrechtsubjekt in den internationalen Beziehungen ohne Einordnung in die Systemlogik oder Werteordnung der Staatengemeinschaft zu erhalten, so gelang ihm auch die Verteidigung seiner Rolle in der Öffentlichkeit ohne Unterordnung unter die Regeln der Zivilgesellschaft oder einer formierten Öffentlichkeit autoritärer oder totalitärer Prägung. Die eigenwillige Performanz päpstlicher Machtinszenierung und päpstlichen Machtanspruchs variiert, steigt aber gegenläufig zu linearen Säkularisierungsthesen eines kontinuierlichen Verschwindens der Religion aus Öffentlichkeit und Politik im Lauf der Moderne eher an. Nicht nur in die säkulare Weltpolitik der Staaten, sondern sowohl in die vornehmlich nationalen Öffentlichkeiten der Staatsbürger wie in die sich vermeintlich nach kosmopolitisch-säkularen Vorstellungen entwickelnde Weltöffentlichkeit klinkt sich das Papsttum ein. Das Papsttum hält sich stabil im Strukturwandel der Öffentlichkeit, obwohl deren analytische wie normative Implikationen etwas anderes erwarten...