Beschreibung
'Meisterschaft, das ist jene Patina, die sich beim langjährigen, unermüdlichen Polieren ergibt.' Tanizaki Jun'ichiros Essay ist ein Schlüsseltext zum Verständnis der japanischen Kultur. Geistreich beleuchtet er den Unterschied zwischen östlichem Streben nach Meisterschaft und westlichem Kunstverständnis.Wie entsteht ein Meisterwerk? - Tanizaki Jun'ichiros Essay ist eine echte Entdeckung für alle Freunde fernöstlicher Lebensart. Im Verständnis des Fremden eröffnet er einen neuen Blick auch auf die eigene Kultur. Der japanische Autor findet einprägsame Vergleiche, wenn er Schauspielkunst, Tanz, Literatur und Malerei seiner Heimat einer Bestandsaufnahme unterzieht. Spricht er über 'Meisterschaft', dient ihm als Vergleich stets der Westen - was zu verblüffenden Paarungen und Fragestellungen führt: Warum entspricht Arthur Schnitzlers Schreiben dem japanischen Gemüt, nicht aber das von August Strindberg? Was verbindet den deutschen Stummfilmstar Werner Krauß mit der Spielweise des Kabuki-Theaters? Was ist das typisch Amerikanische an Charlie Chaplins Filmen?Wie das berühmte 'Lob des Schattens' schrieb Tanizaki Jun'ichiro auch diesen Essay Anfang der 1930er-Jahre. Im Moment der Öffnung gegenüber der westlichen Welt hielt er noch einmal fest, was die Identität Japans über Jahrtausende bestimmte. Erstmals auf Deutsch In bibiophiler Ausstattung mit einem Schutzumschlag aus Naturpapier, gebunden in schwarzes, geprägtes Strukturpapier, mit einer OriginalKalligrafie Ausstattung: 9 s/w-Abbildungen und 1 Kalligrafie
Autorenportrait
Tanizaki Jun'ichiro (1886-1965) wurde in Tokio geboren. Beide Eltern stammten aus alten Kaufmannsfamilien. Der hochbegabte Jun'ichiro, der schon in der Schule durch stilistische Glanzleistungen Aufsehen erregt hatte, studierte in Tokio englische und japanische Literatur. Er verließ die Universität jedoch ohne Abschluss und entschied sich für die Schriftstellerlaufbahn. Beeinflusst von Oscar Wilde, Edgar Allan Poe, Charles Baudelaire und seinem Lehrer Nagai Kafu nahm er von Anfang an einen antinaturalistischen Standpunkt ein und wurde zum Bannerträger des Ästhetizismus. Sein Hauptthema ist die Suche nach Schönheit und nach einer oft übersteigerten, sich am Rande des Abartigen bewegenden Sinnlichkeit und Erotik. 1923 zog er in das Gebiet von Kyoto-Osaka und wandte sich vermehrt der traditionellen Kultur zu. Sein Hauptwerk, der umfangreiche Familien- und Gesellschaftsroman 'Sasame yuki' ('Feiner Schnee'), entstand 1943-1948. Tanizaki schreibt eine breit angelegte, kraftvolle, präzise Prosa. Der lange Essay 'In'ei raisan' ('Lob des Schattens', 1933) ist ein Schlüsselwerk für Tanizakis Ästhetik, zeugt sowohl von seinem ausgeprägten Sensualismus wie für seine Hinwendung zur Tradition und reflektiert in einzigartiger Weise die Situation des Umbruchs, die Spannung zwischen Alt und Neu, zwischen Ost und West, in der sich Japan in den dreißiger Jahren befand und noch heute befindet.
Leseprobe
Vor Jahren, als der Maler Yasuda Yukihiko sich mit seiner damaligen Frau O-Yö - der älteren Schwester des Kabuki-Schauspielers1 Nakamura Kichiemon - am Tenjin-Berg in Odawara niedergelassen hatte, verbrachte ich, um der Hitze zu entfliehen, einen Sommer an der nahe gelegenen Küste von Hayakawa und suchte von da aus gelegentlich den Freund auf. Bei einem solchen Besuch stieß ich auf zwei bereits vorher eingetroffene Gäste: Der eine war Kichiemon, der andere sein Sponsor, der Besitzer der 'Neuen Quelle' aus dem Thermalbad Shüzenji. Wir saßen also zu fünft zusammen, das Ehepaar Yasuda eingerechnet, und unterhielten uns einen halben Tag lang, wobei Kichiemon die Meisterschaft - gei - des Schauspielers Ichikawa Danzö in den allerhöchsten Tönen lobte. Das liegt achtzehn oder neunzehn Jahre zurück - Danzö war damals noch am Leben -, und da Kichiemon im gleichen Jahr geboren ist wie ich, dürfte er achtundzwanzig oder neunundzwanzig gewesen sein.2 Jedenfalls erschien Danzö in den Augen dieses talentierten, frühreifen, jugendlichen Schauspielers Kichiemon als ein Mann von außergewöhnlicher Statur; er war dem alten Mimen offensichtlich von Herzen zugetan, ja, er vergötterte ihn geradezu. Ganz besonders bewunderte er Danzös Darstellung des Mitsuhide in der Szene 'Die Rosswanne'3. Danjürö sei zwar auch gut, argumentierte er, aber Danzös Verkörperung des Mitsuhide sei derjenigen von Danjürö haushoch überlegen. Zu einem solchen Ausdruck sei Danjürö nicht fähig. Er, Kichiemon, habe die Szene kürzlich selbst gespielt; dabei habe er sich vom Stil Danjürös abgesetzt und sich ganz auf Danzös Spielweise verlassen. Als der streitlustige Besitzer der 'Neuen Quelle' dies hörte, entgegnete er: 'Ach was, es ist undenkbar, dass Danjürö nicht auch könnte, was Danzö kann. Alles, was Danzö an Fähigkeiten hat, besitzt Danjürö ebenfalls! Was die angeht, hat ihn einfach seine Interpretation der Szene zu einer anderen Spielweise geführt. Hätte er gewollt, hätte er sie gewiss im Danzö-Stil geben können.' - 'Ja, genau das würde ich auch behaupten', pflichtete ihm Yasuda bei. Seinen Ausführungen zufolge stellt ein überragender Künstler, ein geijutsuka, sein Können nicht über Gebühr zur Schau. Es mag sogar vorkommen, dass er wider Erwarten unbeholfen wirkt, weil er seine Meisterschaft möglichst im Verborgenen anzureichern sucht. In Wahrheit liegen die Dinge ganz anders. Ein wirklich schöpferischer Mensch ist, nicht nur in Bezug auf die Schauspielerei, mit allen möglichen Fertigkeiten ausgestattet, auf die sich ein mittleres Talent jeweils im Einzelnen etwas einbildet. Er hat dieses Stadium längst hinter sich. Weit davon entfernt, unbeholfen zu sein, kann er alles, was ein auf den ersten Blick geschickter Aufschneider zustande bringt, ebenfalls, wenn er nur will. Aber er vermeidet es einfach, sein Können zur Schau zu stellen. Das wird wohl auch bei Danjürö der Fall gewesen sein. In besonderem Maß, so Yasuda, ist solches aus den Bildern des Meisters Hashimoto Gahö herauszuspüren. Man trifft gelegentlich auf Leute, die das Werk des Malers Kawabata Gyokushö loben und behaupten, Gahö reiche in mancherlei Hinsicht nicht an Gyokushö heran. Aber nur keine Eile! Hätte man Gahö dazu gebracht ein Bild im Stil des Gyokushö zu malen, hätte er es noch perfekter ausgeführt als Gyokushö selbst. Und Yasuda konnte sich auch tatsächlich von früher her an entsprechende Werke Gahös erinnern. Ich äußerte mich nicht zum Thema, dachte aber bei mir, dass geniale Vertreter ihres Fachs wie Danjürö oder Gahö vielleicht in der Tat über solche Fähigkeiten verfügt haben. Zugegeben, auf die Literatur übertragen, scheint es mir denn doch zweifelhaft, ob etwa Goethe oder Tolstoi die besondere Geschmacksnote eines Hebbel oder Tschechow hätten hervorbringen können. Aber auf dem Gebiet des Theaters, besonders des Kabuki - wo ein Schauspieler, der nicht gleichermaßen den Yu- ranosuke wie den Kampei, den Hangan wie den Moro- nao oder Heiemon4 verkörpern kann, niemals zu den Erstklassig