Autorenportrait
Franz Kafka wurde 1883 als Sohn eines Kaufmanns in Prag geboren. Der promovierte Jurist fand eine Anstellung an der Arbeiterunfallversicherungsanstalt, trat jedoch bald schon als überaus origineller Schriftsteller hervor. Sein Werk steht einzigartig da in der Literaturgeschichte. Kafka schuf mit seinem Erzählstil die dem beginnenden 20. Jahrhundert angemessenen Ausdrucksmittel. Mit nur vierzig Jahren verstarb er an einer Lungen- und Kehlkopftuberkulose in Österreich. Bruno Kern wurde 1958 in Wien geboren und lebt heute als freischaffender Lektor, Übersetzer und Autor in Mainz. Der promovierte Theologe und Philosoph ist unter anderem ein profunder Kenner von Franz Kafkas Zeitgenossen Karl Kraus, hat dessen Werk zum Teil ediert und eine Biografie über ihn verfasst.
Leseprobe
Franz Kafka oder die Obdachlosigkeit des modernen Menschen Allein die Tatsache, dass das Adjektiv 'kafkaesk' in den Wortschatz so vieler Sprachen Eingang gefunden hat, zeugt von der Originalität und vom bis heute anhaltenden Einfluss dieses außergewöhnlichen Prager Schriftstellers. Bezeichnet wird damit das Ausgeliefertsein des Einzelnen an undurchschaubare anonyme Mächte, an Verhältnisse, denen mit Vernunft nicht beizukommen ist, an die Absurdität als scheinbares Weltgesetz und an die Vergeblichkeit alles Sinnstrebens. In der Tat waren genau dies die großen Themen der Erzählungen und Romane des Autors. Dass vieles davon nicht vollendet und Fragment geblieben ist, kann man gerade als Bestätigung des gebrochenen Weltverhältnisses des Autors auffassen, der literarisch zuweilen so scheitert wie seine Protagonisten. Dass Kafkas Werk bis heute eine so große Resonanz gefunden hat, spricht für die Gültigkeit der darin zum Ausdruck kommenden Zeitdiagnose ebenso wie des Empfindens der Unbehaustheit des Menschen in einem tieferen, existenziellen Sinn. Einen Hinweis auf die Interpretation seines Werkes gibt uns die Rezeptionsgeschichte: Vor allem existenzphilosophische Strömungen greifen auf Kafkas Werk zurück. Die Vielschichtigkeit seines literarischen Werkes, das darin nicht aufgelöste Rätselhafte, hat viele zu allzu einseitigen Interpretationsversuchen verlockt, die die Figuren, die beschriebenen Konstellationen, die Atmosphäre einer fiktiven Erzählung auf ein vertrautes Erklärungsmuster reduzieren wollten. Etliche dieser Versuche scheinen mir völlig untauglich zu sein - so insbesondere diejenigen, die im Werk allein das Spiegelbild der Biografie des Autors entdecken wollen, diejenigen, die Kafkas Judentum als den entscheidenden Verstehensschlüssel sehen, und vor allem die 'theologischen' Interpretationen, die gewagte Allegorien konstruieren, welche im Text selbst kaum Anhaltspunkte finden (zu Letzterem vgl. vor allem Citati 1990). Anderen Zugängen wiederum kommt immerhin das Verdienst zu, auf wichtige Aspekte aufmerksam zu machen, und solange sie der Versuchung nicht erliegen, daraus einen Passepartout zu fabrizieren, erschließen sie in der Tat ein vertieftes Verständnis. In diesem Sinne haben etwa psychoanalytische Deutungsversuche ihr begrenztes Recht.