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Du auf deinem höchsten Dach

Tilly Wedekind und ihre Töchter - Eine Familienbiographie

Erschienen am 04.09.2003
Auch erhältlich als:
22,90 €
(inkl. MwSt.)

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783813502237
Sprache: Deutsch
Umfang: 448 S., s/w-Abb. im Text
Format (T/L/B): 4.1 x 22 x 14.2 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Anatol Regnier, Enkel von Frank und Tilly Wedekind und Sohn der Wedekind-Tochter Pamela, hat erstmals das unter Verschluss gehaltene Familienarchiv ausgewertet. Das Werk wirft ein neues Licht auf drei Frauen, die nie gänzlich aus dem Schatten des Ehemannes und Vaters zu treten vermochten.

Als Frank Wedekind am 9. März 1918 im Alter von 54 Jahren stirbt, hinterlässt der provokanteste Dramatiker seiner Zeit eine bildschöne junge Frau und zwei kleine Töchter. Hinter der Schauspielerin Tilly Newes liegt ein knappes Jahrzehnt kräftezehrenden Zusammenlebens mit einem Mann, dessen erotischen Phantasien der Realität nicht Stand hielten. Wedekinds Tod ist bei aller Trauer wie eine Befreiung. Tilly blüht auf und hat unzählige Verehrer. Die Töchter Pamela und Kadidja wachsen hinein in die Künstlerboheme der 20er Jahre. Pamela freundet sich eng mit den Mann-Kindern Erika und Klaus an; Vierter im Bunde ist der junge Schauspieler Gustaf Gründgens. Zum Eklat kommt es, als Pamela den fast 30 Jahre älteren Dramatiker Carl Sternheim heiratet. Tilly, die immer stärker unter einer manischen Depression leidet, beginnt um diese Zeit eine stürmische Liaison mit dem Lyriker Gottfried Benn. Als die Nationalsozialisten die Macht übernehmen, geht Kadidja ins Exil nach Amerika. Pamela und Tilly bleiben und arrangieren sich. Kadidja wird ihnen dies nie verzeihen. Nach ihrer Rückkehr 1946 kommt es zum Bruch.

Anatol Regnier zeichnet ein in vielen Zügen unbekanntes Bild von Tilly Wedekind und ihren Töchtern. Dabei gelingt ihm ein faszinierendes Psychogramm dreier Frauen zwischen künstlerischem Anspruch und Lebensangst im Schatten eines großen Schriftstellers.


Leseprobe

Vorgeschichte In den Berichten seiner Kinder, Jahrzehnte nach seinem Tod verfasst, erscheint Eduard Newes als gut aussehender, man könnte sagen schöner Mann, mittelgroß und kräftig, mit nach hinten gekämmten dunkelblonden Haaren, graublauen Augen, einer edlen Nase und einem buschigen, rötlichen Schnurrbart. Auffallend schöne Hände soll er gehabt haben, mit langen Fingern und rosa glänzenden Nägeln. Sein Sohn Rudolf, der später in Wien bei einer Bank arbeitete, erwähnt seinen wuchtigen Brustkorb - nackt habe er wie ein zu klein gebliebener Riese ausgesehen. Seine Tochter Martha hebt seinen Humor hervor: Auf dem Sterbebett habe er den Pfarrer gefragt, ob er die Jungfrau Maria von ihm grüßen solle, er sehe sie ja bald. Die Trauerfeier sei unversehens zu einer fröhlichen Veranstaltung geworden, als mehr und mehr Gäste Anekdoten aus seinem Leben erzählten. Seine Tochter Tilly schwärmt von Spaziergängen durch die Grazer Innenstadt, bei denen er alles kaufte, was sie wollte, einfach so, weil es Spaß machte. Herzensgut sei der Vater gewesen, freundlich, charmant, ein bisschen leichtsinnig, mit einem ganz und gar ungewöhnlichen Lachen: stumm, mit geschlossenem Mund, sozusagen nach innen hinein, bis er rot wurde und ihm Tränen über das Gesicht liefen. Eduard Newes, geboren 1842 in Pardubitz in Böhmen, wächst auf in Armut und Enge. Sein Vater ist mit siebzehn Jahren zum Regiment der Deutschmeister assentiert worden und hat bei Aspern gegen Napoleon gekämpft, in jener Schlacht, die binnen weniger Stunden vierzigtausend Tote forderte. Dafür hat er das Kanonierkreuz erhalten und ist taub vom Geschützdonner heimgekehrt. Eduards Mutter, heißt es, stammt aus verarmtem französischem Adel und ist Mehlspeisköchin beim geistesschwachen Kaiser Ferdinand gewesen. Das Eheangebot eines Grafen schlägt sie aus und heiratet stattdessen den Stallburschen Newes, der ihr acht Kinder beschert, spielt und trinkt und ihre zweitausend in Silberzwanzigern gesparte Gulden verschleudert. Um die winzige Pension zu strecken, näht sie in Heimarbeit Kommisswäsche. Der kleine Eduard und seine Geschwister müssen helfen. Johann konnte ein zugeschnittenes Hemd selbstständig fertig machen, ich konnte endeln, Anna nähte. Alles musste mit der Hand gemacht werden. Als alter Mann hat Eduard die Geschichte seiner Jugend aufgeschrieben, für die Kinder, damit sie wissen, wo sie herkommen. Dem Elend entfliehen, etwas Anständiges lernen. Eduard Newes entscheidet sich für den Kaufmannsberuf und hört Staatsverrechnungslehre an der Grazer Universität - niemand in seiner Familie hat einen solchen Ort je betreten. Die Steiermärkische Sparkassa stellt ihn an, er mietet eine Vierzimmerwohnung, erneuert Teile des Hausrats. Aber so leicht lässt sich das Pech nicht abschütteln. Seine Schwester Anna bleibt an einem Glockenzug hängen, renkt sich die Schulter aus und ist fortan verkrüppelt. Seine Lieblingsschwester Josephine stirbt sechzehnjährig an Lungenentzündung, weil sie, vom Tanzen erhitzt, keine Droschke nahm und zu Fuß nach Hause ging. Zwei Brüder, der fesche Franz und der fesche Wenzel, geraten auf die schiefe Bahn. Franz defraudiert Edelsteine bei einem Goldarbeiter und treibt sich in Ungarn als Landstreicher herum, Wenzel stiehlt schon in der Schule und wird von seinem Brotherrn wegen eines Kassadefizits an die Luft gesetzt. Als nichts mehr hilft, müssen beide nach Amerika. Ein Pferdehautkoffer wird mit Kleidern gefüllt, Anna näht Münzen in Kragen und Hemdsäume, Eduard besorgt Fahrkarten bis Baltimore, dazu billige Uhren aus dem Versatzamt und einen Revolver. Aber schon auf dem Schiff geraten sie in schlechte Gesellschaft. Franz schreibt noch einmal und bittet um Geld, Wenzel soll geheiratet haben. Dann hört man nichts mehr von ihnen. Eduard Newes ist achtunddreißig Jahre alt, als er im Mai 1880 seine Frau kennen lernt, in einem Laden, wo sie Ballhandschuhe kauft. 'Darf man wissen, bei welcher Gelegenheit sie getragen werden?', fragt er charmant. 'Beim Universitätsball', Leseprobe

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