Beschreibung
Eigentlich ist Elisabeth "Lizzy" Tanner eine glückliche Frau: Ihre reizende Tochter Thea macht ihr viel Freude, ihr Partner Tom ist zuverlässig und liebevoll, Geldsorgen kennt sie nicht - und wenn es mal knapp wird, springt Lizzys Großvater ein, der Patriarch einer Freiburger Uhrendynastie. Doch die Sorglosigkeit zerbröckelt, als der Großvater stirbt. Nicht nur, dass er den 'Rosshimmel', das Anwesen der Familie in den Vogesen, zwei gänzlich Fremden vermacht, zudem hat er noch einen schwerwiegenden letzten Wunsch an Lizzy: Finde die Wahrheit heraus! Sorge für Gerechtigkeit! Bei ihren Recherchen, die sie in der Familiengeschichte zurück bis in die 1930er Jahre führt, erlebt Lizzy Rückschläge und Enttäuschungen und muss sich entscheiden zwischen Vertrauen und Verleumdung, der Wahrheit und Rücksichtnahme, ihrer Familie und ihrer Vorstellung von Moral.
Autorenportrait
Bettina Storks, geboren 1960 in Waiblingen, lebt in Bodman-Ludwigshafen am Bodensee. Sie studierte Germanistik, Deutsche Philologie und Kulturwissenschaften und promovierte sich 1994 an der Universität Freiburg über die Prosa Ingeborg Bachmanns. Danach war sie mehrere Jahre als Redakteurin beschäftigt. 2007 begann sie mit dem Schreiben belletristischer Texte und erhielt im Jahre 2008 ein Stipendium vom Förderkreis Deutscher Schriftsteller Baden-Württemberg.
Leseprobe
Das Haus am Himmelsrand Roman Bettina Storks Géradmer, Frankreich, Am Rosshimmel, November 1940 Immer wenn der Wind über das Plateau in den Vogesen fegte, hielt der Rosshimmel den Atem an. Die Pferde erstarrten und spitzten die Ohren. Dann plötzlich setzten sie sich in Bewegung, fast gleichzeitig, zu einer einzigen großen Formation. Dabei vibrierte der Boden so sehr, dass die Schwingungen weithin zu spüren waren. Die Masse ihrer muskulösen, kräftigen Körper hinterließ tiefe Spuren im Neuschnee, die der Wind nach und nach wieder verwischen würde. Die Tiere galoppierten mit wehenden Mähnen und erhobenen Köpfen, die sie im gleichmäßigen Takt senkten, als ob sie sich vor den Naturgewalten verbeugten. Sie schwebten gleichsam über dem Boden. Hier war das Paradies ihrer Vorfahren, das seinen Namen der Tatsache verdankte, dass die Bauern früher ihre ausgedienten Rösser an diesem verlassenen Ort direkt unter dem Himmel begruben. Warum sie sich die Mühe gemacht hatten, die toten Tiere aus dem Tal bis hierher nach oben zu schaffen, konnte niemand sagen. "Pferde sind Fluchttiere", sagte die Frau jedes Mal, wenn es losging. "Sie trauen niemandem." Die Kinder liebten ihre Geschichten. Sie verstanden zwar noch nicht, was das bedeutete, denn sie waren noch klein, aber das Gefühl der Angst war ihnen bereits vertraut. Mit plattgedrückten Nasen knieten sie auf der Eckbank am Küchenfenster des Gesindehauses und beobachteten die Pferde, die schließlich vor den Stallungen Halt machten, wo ein Mann, eingehüllt in einen warmen Mantel, ihnen das Tor öffnete. Ein Ross wieherte und stellte sich auf die Hinterhufe. Der Mann beruhigte das Tier, indem er es am Hals streichelte. Dann schritten die Pferde mit dampfenden Körpern, eines nach dem anderen, ins Trockene. Der Wind riss eine Scheunentür auf, die krachend gegen die Wand schlug. Der Schnee war in Regen übergegangen. Dicke Tropfen peitschten gegen die Scheibe. Das knisternde Feuer im Herd verströmte eine wohlige Wärme. Die Frau räumte den Tisch ab, zog die beiden Kinder eilig vom Fenster weg und schob sie hinaus in Richtung ihres Verstecks, ein Verließ im Geräteschuppen. Sie hatten diesen Ablauf so häufig geübt. Der Mann konnte die Sprache der Pferde verstehen. Die plötzliche Rückkehr der Rösser von der Weide bedeutete nichts Gutes. Die Frau legte den Zeigefinger an die Lippen und bekreuzigte sich. Dann schloss sie den Schacht, unter dem die Kinder zitternd aneinander gedrückt saßen. Sie lauschten und wagten nicht zu atmen. Durch einen kleinen Schlitz drang mattes Licht. "Still, du musst ganz still sein!", sagte der Junge zu dem Mädchen. Aber es hatte gar nichts gesagt. Kapitel 1 "Dein Großvater wünscht ein Gespräch unter vier Augen. Mit dir. Vermeide jede Aufregung, Lizzy", mahnte meine Mutter. Erschöpft lehnte sie ihren Hinterkopf an die geschlossene Tür, aber trotz ihrer Müdigkeit registrierte ich die Härte in ihrer Stimme, diesen typischen, etwas zu hoch geratenen Tonfall, in den sie bei familiären Angelegenheiten verfiel. Dann schob sie mich in das Zimmer und zog einfach die Tür hinter mir zu. Er lag auf dem Bett. Sein großer Kopf füllte das Kissen aus. Ein beißender Geruch von verbrauchter Luft stieg mir in die Nase. Dieser Mann, den ich ein Leben lang wie einen Vater geliebt hatte, war 92 Jahre alt, aber für den Tod war es immer zu früh. Sein Bett glich einer Bahre und ich starrte auf seinen Brustkorb, wollte sehen, ob er sich noch hob und senkte. Plötzlich tippte er mit seinen Fingern auf das gestärkte Laken und winkte mich zu sich. Als sei die Ausführung seiner Befehle eine Selbstverständlichkeit. Aber so war es nun einmal, Jahrzehnte hatte er Menschen geführt, ein großes Unternehmen, seine Familie. Alle waren sie ihm vertrauensvoll gefolgt. Eine dumpfe Wut kam in mir auf, unpassend und pietätlos. Gehorsam und Aufbegehren, der mir vertraute Widerspruch, von Kindesb