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Reisen

Roman, AfrikAWunderhorn

Erschienen am 23.11.2020
Auch erhältlich als:
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783884236369
Sprache: Deutsch
Umfang: 320 S.
Format (T/L/B): 3 x 21.5 x 14 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Der Protagonist, ein nigerianisch-amerikanischer Akademiker, zieht mit seiner amerikanischen Frau nach Berlin, als diese dort ein renommiertes Kunststipendium erhält. In Berlin lernt er viele afrikanische Immigranten und Geflüchtete kennen und erfährt so von ihren Fluchterlebnissen. Diese Begegnungen führen bei ihm, der als schwarzer Intellektueller ein privilegiertes und sicheres Leben führt, zu einer tiefen Selbstreflexion. Er stellt sein bisheriges Leben in Frage und merkt, dass er unlösbar mit den Schicksalen der Migranten verbunden ist und sein Leben nicht länger getrennt von deren alltäglicher Not führen kann. Als er eine junge Frau aus Sambia in die Schweiz begleitet, wo sie die Todesumstände ihres Bruders klären will, steigt er auf der Rückreise nach Berlin ohne Papiere in den falschen Zug und landet in einem Flüchtlingslager am italienischen Mittelmeer. Habila lässt in seinem Roman ein Mosaik aus den unterschiedlichsten Erfahrungen von Migranten entstehen. Er zeigt damit, dass die Themen Vertreibung und Migration 'ewige' Themen bleiben werden, sollten nicht Menschlichkeit und Respekt vor anderen Kulturen unsere Gesellschaften bestimmen.

Autorenportrait

Helon Habila, 1967 in Nigeria geboren, studierte Literatur und lehrte an der Universität, bevor er nach Lagos ging, um dort als Journalist zu arbeiten. Sein dritter Roman Öl auf Wasser wurde mit dem deutschen Krimi-Preis ausgezeichnet. Er lebt in den USA und unterrichtet Kreatives Schreiben an der George Mason University in Washington, D. C. 2013 war Helon Habila als Stipendiat des DAAD im Rahmen des Berliner Künstlerprogramms in Berlin.

Leseprobe

"Du musst mitkommen, Schatz", sagte Gina vor einem Jahr in unserer Wohnung in Arlington. "Ich kann nicht ohne dich." Sie hatte das renommierte Zimmer-Kunststipendium erhalten. Ein Jahr Berlin. Vielleicht war das genau das Richtige, um aus unserem eingefahrenen Leben, unserem Alltag auszubrechen. Jedes Jahr wählte die Zimmer-Jury zehn Künstler aus aller Welt aus - Schriftsteller und Maler, Filmregisseure und Komponisten - und in diesem Jahr gehörte Gina zu den beiden Stipendiatinnen aus den USA. Sie war Juniorprofessorin an einer Universität in Arlington, ich brachte in einem Hinterzimmer der Stadtbibliothek koreanischen Einwanderern Englisch bei. Außerdem arbeitete ich an meiner Hochschule als wissenschaftlicher Assistent, damit waren die Studiengebühren abgedeckt. Beim Unterrichten ging ich äußerst besonnen vor; jedes Mal, wenn ich vor den erwartungsvollen jungen Gesichtern stand, kam ich mir wie ein Hochstapler vor. Würden sie alles, was ich ihnen erzählte, für bare Münze nehmen, und welches Recht hatte ich, welches Wissen, welche Erfahrung, dass ich mir herausnahm, mich als Autorität zu gerieren? Ich war erst fünfunddreissig, vielleicht wenn ich fünfzig wäre, mehr gereist wäre, mehr gelebt hätte. "Es ist nur ein Job, Schatz", sagte Gina, pragmatisch wie stets. "Du siehst das zu kritisch." Oder vielleicht war es auch meine Angst, mich festzulegen so Ginas Mutmaßung, die sich nicht nur auf meine halbfertige Dissertation bezog, sondern auch darauf, dass wir nach der Promotion heiraten wollten. Sie hatte promoviert, ich nicht. Drei Jahre lang hatten wir in ihrer winzigen Studentenbude mit Blick auf einen Parkplatz zusammengelebt. Aber nein, sagte ich, das liege nur an meiner Einwandererdisposition, die mich auf ein Heim, auf Beständigkeit in dieser neuen Welt hoffen, mich aber auch vor langfristigen Bindungen zurückscheuen und ständig Fluchtpläne schmieden lasse. Wir heirateten dann doch noch und die Ehe war gut, stabil, wir hatten unseren geregelten Tagesablauf wie die meisten Ehepaare, wir wachten gemeinsam auf, gingen zur Arbeit, abends saßen wir auf unserem schmalen Balkon mit Blick auf den Parkplatz, tranken eine Flasche Wein, manchmal gingen wir ins Kino oder essen und vielleicht zögerte ich aus diesem Grund, Berlin zuzusagen: Was, wenn wir hingingen und die Dinge zwischen uns anders wurden? Was, wenn uns Berlin mehr veränderte als angenommen?

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