Beschreibung
Moskau und Ankara, Peking und Brasilia, Neu-Delhi - und Washington: In all diesen Hauptstädten kamen zuletzt Autokraten an die Macht. Diese "strongmen" sind Nationalisten und sozial Konservative mit Hang zum Personenkult. Für Minderheiten und Einwanderer haben sie wenig übrig. Daheim behaupten sie, an der Seite der "einfachen Leute" gegen die "globalen Eliten" zu stehen, auf der Weltbühne nehmen sie für sich in Anspruch, die Nation zu verkörpern. Dieser Politikertyp herrscht längst nicht mehr nur über autoritäre Systeme, sondern taucht selbst im Herzen der liberalen Demokratie auf. Gideon Rachman beschreibt den Aufstieg der Autokraten als globales Phänomen.
Autorenportrait
Gideon Rachman wurde 1963 in London geboren und studierte Geschichte in Cambridge. Seine journalistische Karriere begann er beim "BBC World Service". Es folgten 15 Jahre beim "Economist", für den er aus Washington, Bangkok und Brüssel berichtete. Seit 2006 ist er außenpolitischer Chefkommentator der "Financial Times". 2016 wurde er für seinen Journalismus mit dem Orwell-Preis ausgezeichnet.
Leseprobe
Im Frühjahr 2018 bereitete das Weiße Haus ein Gipfeltreffen zwischen Donald Trump und Kim Jong-un vor. Im Old Executive Office, in dem der Nationale Sicherheitsrat des Präsidenten untergebracht ist, erklärte mir ein Trump-Mitarbeiter mit schiefem Lächeln: "Der Präsident hat eine Vorliebe dafür, persönlich mit autokratischen Führern zu sprechen." Trumps Diktatorenliebe ließ selbst enge Mitarbeiter sich vor Verlegenheit winden. Was im Weißen Haus unausgesprochen blieb, war die Tatsache, dass Trump selbst einige autokratische Anwandlungen in das Herz der größten Demokratie der Welt verpflanzt hatte. Die wilde Rhetorik des Präsidenten, sein Gefallen an Militärparaden, seine Toleranz für Interessenkonflikte und Intoleranz gegenüber journalistischen Medien und der Justiz sind allesamt Attribute eines autokratischen Politikstils - ein "strongman style", der bis vor kurzem den gefestigten Demokratien des Westens vollkommen fremd schien. Aber Trump war auf der Höhe seiner Zeit. Seit 2000 ist der Aufstieg der Autokraten zentrales Element der internationalen Politik. In so unterschiedlichen Hauptstädten wie Moskau, Peking, Neu-Delhi, Ankara, Budapest, Warschau, Manila, Riad und Brasilia sind solche "strongmen" (und es handelt sich bislang ausnahmslos um Männer) an die Macht gekommen. Typischerweise sind diese Autokraten Nationalisten und kulturelle Konservative, die für Minderheiten, Widerspruch und die Interessen von Ausländerinnen und Ausländern wenig übrighaben. Daheim behaupten sie, an der Seite der "einfachen Leute" gegen die "globalisierten Eliten" zu stehen. Auf der Weltbühne nehmen sie für sich in Anspruch, ihre Nation zu repräsentieren. Und stets pflegen sie dabei einen gewissen Personenkult. Das neue Zeitalter der Autokraten begann lange bevor Trump ins Weiße Haus einzog. Und es wird die Weltpolitik noch lange nach Trump bestimmen. Die beiden aufstrebenden Supermächte des 21. Jahrhunderts, China und Indien, sind autokratischen Regierungschefs anheimgefallen. Wenngleich sie in sehr unterschiedlichen politischen Systemen operieren, prägen Xi Jinping und Narendra Modi ihre Länder durch einem stark personalisierten Führungsstil. Sie setzen auf Nationalismus, bedienen sich einer Rhetorik der Stärke und sind den Liberalismus vehement feindlich gesinnt. Die beiden wichtigsten Mächte an den östlichen Grenzen der Europäischen Union, Russland und die Türkei, werden von "strongmen" beherrscht: Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan sind mittlerweile rund 20 Jahre an der Macht. Der "strongman style" hat selbst vor den Grenzen der EU keinen Halt gemacht und sich in Viktor Orbáns Ungarn und Jaroslaw Kaczynskis Polen festgesetzt. Selbst Boris Johnson im Vereinigten Königreich hat mit dem autokratischen Politikstil zumindest geflirtet, wenn es um sein Verhältnis zum Recht, zur Diplomatie und zu Widerspruch in den eigenen politischen Reihen geht. Die beiden größten Länder Lateinamerikas, Brasilien und Mexiko, werden derzeit von Jair Bolsonaro und Andrés Miguel López Obrador (AMLO genannt) regiert. Bolsonaro steht politisch weit rechts, AMLO zählt zur populistischen Linke. Dennoch passen beide in das Autokraten-Modell, befördern einen Kult um ihre Person und verachten die staatlichen Institutionen.