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Das Mädchen aus Mailand

Ein Duca-Lamberti-Roman

Erschienen am 01.01.2003
Auch erhältlich als:
8,00 €
(inkl. MwSt.)

Nicht lieferbar

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442728190
Sprache: Deutsch
Umfang: 256 S.
Format (T/L/B): 1.9 x 18.8 x 11.9 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Die Wiederentdeckung von Giorgio Scerbanenco und seinem eigenwilligen Ermittler Duca Lamberti war in der Krimiszene eine kleine Sensation. Die Presse in Deutschland war ebenso begeistert wie die italienische. "Er ist der Vater des italienischen Krimis!", jubelte LA REPUBBLICA, und Italiens Krimistar Carlo Lucarelli gestand in einem fiktiven Brief: "Sehr geehrter Herr Scerbanenco, ich bin ein treuer Leser Ihrer Bücher." Die Geschichten um den Arzt Duca Lamberti, der ins Gefängnis ging und seine Zulassung verlor, weil er einer krebskranken Frau Sterbehilfe leistete, spielen wie die Maigret-Geschichten von George Simenon im Kleine-Leute-Milieu. Lambertis Terrain ist das Mailand der 60er Jahre. In seinem ersten Fall versucht Duca den vermeintlichen Selbstmord einer jungen Prostituierten aufzuklären.


Autorenportrait

Giorgio Scerbanenco, 1911 als Sohn eines ukrainischen Offiziers und einer Italienerin in Kiew geboren, floh mit seiner Mutter bei Ausbruch der Russischen Revolution, die seinem Vater das Leben kostete, nach Italien. Später begann er als Reporter zu arbeit

Leseprobe

In den drei Jahren Gefängnis hatte er gelernt, sich die Zeit mit einfachen Mitteln zu vertreiben. Die ersten zehn Minuten beschränkte er sich allerdings darauf, eine Zigarette zu rauchen, ohne sich dabei irgendein Spielchen auszudenken. Als er den Zigarettenstummel aber auf den Kiesweg schnipste, dachte er daran, dass die Zahl der Steinchen auf den Wegen dieses Gartens eine endliche Zahl war. Auch die Summe aller Sandkörner an allen Stränden der Welt konnte man ausrechnen; auch das war eine endliche Zahl, wenn auch eine sehr hohe, und so begann er zu rechnen, den Blick auf den Weg geheftet. Auf fünf Quadratzentimetern mussten sich im Durchschnitt achtzig Steinchen befinden. Dann überschlug er die Fläche der Gartenwege, die zu der Villa vor ihm führten, und kam zu dem Schluss, dass der Kies dieser Wege, der aus unendlich vielen Steinchen zu bestehen schien, gerade einmal die lächerliche Zahl von einer Million und sechshunderttausend erreichte, plus minus zehn Prozent. Plötzlich knirschte der Kies, und er schaute einen Augenblick auf. Aus der Villa war ein Mann getreten, der über den breitesten Weg auf ihn zukam. Bis er ihn erreichen würde, konnte er noch ein Spielchen machen, und so blieb er mit gebeugtem Rücken auf der Betonkonsole sitzen, die als Bank diente, und hob eine Hand voll Kies auf. Das Spiel bestand darin, die Antworten auf zwei Fragen zu erraten: erstens, ob die Zahl der Steinchen gerade oder ungerade war, und zweitens, ob sie größer oder kleiner als eine bestimmte Zahl, zum Beispiel zwanzig, war. Waren beide Antworten richtig, hatte er gewonnen. Er beschloss, dass die Zahl der Steinchen in seiner Faust gerade sein musste und kleiner als zwanzig. Er öffnete die Hand und zählte nach: Gewonnen! Es waren achtzehn Steinchen. »Entschuldigen Sie, dass ich Sie habe warten lassen, Doktor Lamberti.« Die Stimme des Mannes, der nun vor ihm stand, war würdevoll und müde zugleich, die Stimme eines erschöpften Herrschers. Die Hose - denn das war das Einzige, was er bei seiner gebeugten Haltung sehen konnte - lag eng an den mageren Beinen an, eine Hose, wie die jungen Leute sie tragen, doch dieser Mann war nicht jung, wie er sah, als er sich erhob, um die ausgestreckte Hand zu schütteln, und wie er ja auch bereits wusste. Vor ihm stand ein nicht sehr großer, aber kräftiger alter Mann, die Haare ganz kurz geschoren, das Kinn vollkommen glatt rasiert, die Hand klein, aber stahlhart. »Buonasera«, antwortete er dem kleinen Herrscher, »angenehm.« Im Gefängnis hatte er gelernt, keine Worte zu verschwenden. Im Prozess, als die Nichte von Signora Maldrigati weinte und jammerte, dass ihre Tante umgebracht worden sei, aber mit keinem Wort die Millionen erwähnte, die sie von ebendieser Tante geerbt hatte, wollte er reden, doch sein Verteidiger hatte ihm fast mit Tränen in den Augen zugeflüstert, er solle bloß nichts sagen, nicht ein einziges Wort, denn sonst hätte er die Wahrheit gesagt, und die Wahrheit ist der Tod; alles darf man sagen, bloß nicht die Wahrheit. Nicht vor Gericht. Nicht in einem Prozess. Und auch nicht im Leben. »In Mailand ist es heiß«, sagte der kleine Mann und setzte sich neben ihn auf die Betonkonsole. »Hier in der Brianza hingegen ist es immer angenehm kühl. Kennen Sie die Brianza?« Mit Sicherheit hatte er ihn nicht kommen lassen, um ihm einen Vortrag über das Brianzer Klima zu halten. Wahrscheinlich wollte er erst mal ein wenig unverbindlich mit ihm plaudern. »Ja«, antwortete er, »als Junge bin ich manchmal mit dem Fahrrad hierher gekommen. Canzo, Asso, der See.« »Mit dem Fahrrad«, sann der kleine Mann, »auch ich war als junger Mann manchmal mit dem Fahrrad hier.« Das Gespräch schien beendet. Der Garten lag um diese Stunde schon fast im Dunkeln, in der Villa gingen einige Lichter an, ein Bus, der auf der zwanzig Meter tiefer liegenden Straße vorbeifuhr, hupte eine Melodie, die an Wagner erinnerte. »Diese Gegend ist aus der Mode gekommen«, fing der Kleine wieder an, »heute fährt man an die Côte d'Azur oder zum

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