Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen, meine Geschichte, wenn ich das darf, die Geschichte eines Cellos. Denn das bin ich, ein Violoncello. Ich darf mich vorstellen? Mit Vaternamen heiße ich Stradivari. Ich bin 1711 in Italien, in Cremona, in der Werkstatt meines Meisters Antonio Stradivari zur Welt gekommen und &8211; was soll ich machen? &8211; eigentlich seit dem Tag meiner Geburt berühmt. Dafür kann ich nichts. Ich hatte Glück, ich hatte einen Namen und als Spitzname (oder Adelstitel, ganz wie Sie wollen) bald &8211; und bis heute &8211; noch einen. Mara. Die Welt nennt mich Mara. The Mara. Das berühmte, weltberühmte Mara. Kein schlechter Name, auch wenn er anspielt auf einen eher temperament- als glanzvollen Musiker, ansonsten aber, glauben Sie mir, faszinierenden Sündenlümmel, der Giovanni Mara hieß (oder, je nachdem, in welchen Engagements er sich wo in Europa gerade aufhielt, auch Jean oder Johann Baptist oder Joseph) und dem ich als Eigentum zu Diensten war, eine aufregende, gefährliche Zeit lang, auch für mich gefährlich. Ich erinnere nur an die Flasche Wodka, die er einmal mit der unkontrollierten Kraft eines Jähzornigen gegen die Wand schleuderte und die mich nur knapp verfehlte. Ein anderes Mal warf er im Streit seiner Frau ein Glas hinterher, das zwar sie verfehlte, mich aber nicht. Die Verletzung war nicht schwerwiegend, ein Streifschuß, aber sie ist bis heute sichtbar und gilt seitdem, sonderbar genug, als zusätzliches Gütesiegel, sozusagen als Zertifikat, als Zeichen untrüglicher Echtheit.
Mein Vater war Handwerker, einer der fähigsten und fleißigsten der Stadt, das schon, aber ein Hexenmeister war er nicht. Drei Violoncelli allein in meinem Geburtsjahr, ebenfalls drei im Jahr davor, die Geigen gar nicht mitgerechnet, das ist eine Menge. Da mußte er sich bei seinen Frauen, die ihm die Kinder gebaren, länger gedulden. Aber es ging, wie er einsah, mit ihnen eben leider nicht schneller, mit seiner Francesca nicht, der ersten, die sechs, mit Antonia, der zweiten, nicht, die fünf Kinder zur Welt brachte. Als Handwerker war er angewiesen auf Nachwuchs, auf Söhne vor allem, und darauf, daß sie durchkamen und nicht durch Kindbettfieber oder die Pest dahingerafft wurden. Und dann konnte man nur hoffen, daß bei dem ganzen Aufwand wenigstens einer sein Talent geerbt hatte. Mit Francesco, Omobono und dem Nachzügler Paolo, die er alle drei selbst in der Werkstatt noch ausbilden konnte, hatte er zwar einen überdurchschnittlich guten Schnitt, aber selbst alle Vaterliebe reichte nicht aus, sich Illusionen zu machen, es könne einer ihm nachfolgen, ihn an Fertigkeit, an Genie gar noch übertreffen. Es würde mit ihm das Kapitel seiner Kunst beendet sein. Natürlich frage ich mich manchmal, wenn der Rummel um meine Berühmtheit lächerlich zu werden beginnt, was er zu der fast schon ans Unheimliche grenzenden Verzückung der Leute sagen würde, die uns, mir und seinen anderen Kindern, zuhören? Was zu der grenzenlosen Bereitschaft gewisser wohlhabender, weltgewandter oder eben nur geschäftstüchtiger Kreise, zu denen Champagnerdynastien ebenso gehören wie Sägewerksbesitzer oder Erdöl- und Stahltycoons, seine Geigen, Bratschen oder Celli für mehr als alles Geld der Welt zu ersteigern, zu der Sucht, sie besitzen zu müssen, und sei es auch nur für ihr Prestige, als Trophäe und Kleinod ihrer gepanzerten Kammern und Banktresore? Oder dazu, die Spezialität organisierter Auftragskriminalität, die Instrumente (mit welchem Risiko auch immer) stehlen zu lassen, was mehr als uns Celli natürlich unsere kleinen Geschwister, die Geigen, betrifft, weil sie handlicher sind, auch berühmter, zugegeben, und deshalb mehr bringen? Was würde er sagen zu dem lange schon wahrhaft wahnhaften Kult um seinen Namen, der als magic word, als Markenzeichen, nicht nur Konzertsäle in Kathedralen, Konzertbesucher in Gläubige und Virtuo ...