Beschreibung
Sind Fußballfans nicht wie eine Horde wild gewordener Affen? Erinnert manch cholerischer Chef nicht an einen wütenden Gorilla? De Waal, der den Menschen irgendwo zwischen den sanften Bonobos und den aggressiven Schimpansen ansiedelt, beweist im direkten Vergleich zwischen Primaten, Managern und Politikern, dass das menschliche Verhalten im Grunde evolutionär bestimmten Schemata folgt. Ob es um Macht geht, um Gewalt oder Zuneigung: Der Mensch kann seine Verwandtschaft mit den Primaten nicht verleugnen. Eine unterhaltsame und kluge Erklärung, warum wir so sind, wie wir sind.
Autorenportrait
Frans de Waal, geboren 1948 in Den Bosch, Niederlande, lehrt Primatenverhalten u.a. an der Emory University in Atlanta und zählt aufgrund seiner Bücher zu den bekanntesten Primatologen der Welt. Bei Hanser erschien zuletzt: Primaten und Philosophen. Wie die Evolution die Moral hervorbrachte (2008).
Leseprobe
Ist Haß oder Liebe typischer für uns? Was ist für unser Überleben entscheidend: Konkurrenz oder Kooperation? Sind wir eher wie Schimpansen oder eher wie Bonobos? Solche Fragen sind für bipolare Charaktere wie uns Zeitverschwendung. Als würde man fragen, ob man eine Fläche am besten nach der Länge oder nach der Breite mißt. Noch schlimmer sind Versuche, nur den einen Pol auf Kosten des anderen in Betracht zu ziehen. Gleichwohl ist es genau dies, was das Abendland jahrhundertelang gemacht hat, indem es unsere egoistische Seite als irgendwie authentischer als unsere soziale hingestellt hat. Wenn Menschen so auf Rivalität aus sind, wie unterstellt wird, wie können sie dann Gesellschaften bilden? Traditionell wird darauf mit einem 'Vertrag' geantwortet, den unsere Vorfahren geschlossen haben sollen; nur 'durch Übereinkunft', die 'künstlich' sei, wie Thomas Hobbes es formulierte, hätten sie ihr Zusammenleben geregelt. Wir werden als Einzelgänger gesehen, die sich nur widerstrebend zusammengetan haben: klug genug, um die Ressourcen zu bündeln, aber ohne jede wirkliche Bindung an die eigene Art. Das alte lateinische Sprichwort homo homini lupus ('Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf') faßt diese asoziale Vision zusammen, die bis auf den heutigen Tag das Rechtswesen, die Wirtschaft und die Politik beeinflußt. Problematisch ist, daß diese Formulierung nicht nur uns falsch darstellt, sondern auch einen der geselligsten und loyalsten Kooperateure im Tierreich beleidigt - und zwar einen so loyalen, daß unsere Vorfahren ihn klugerweise domestizierten. Wölfe leben von Beutetieren, die viel größer sind als sie selbst - Karibus oder Elche etwa -, und das gelingt ihnen nur dank Teamarbeit. Wenn sie von der Jagd heimkehren, würgen sie verschlungenes Fleisch für säugende Muttertiere, für die Jungen und manchmal für Kranke und Alte hervor, die zurückbleiben mußten. Wie grölende Fußballfans stärken sie die Einheit des Rudels, indem sie vor und nach der Jagd gemeinsam heulen. An Rivalitäten mangelt es ihnen nicht, aber Wölfe können es sich nicht leisten, ihnen freien Lauf zu lassen. Loyalität und Vertrauen stehen an erster Stelle. Verhaltensweisen die die Basis der Kooperation unterminieren, werden unterdrückt, um ein Erodieren der sozialen Harmonie zu verhindern, von der das Überleben abhängt. Ein Wolf, der seinen kleinen, individuellen Interessen Vorrang gibt, kann bald allein Mäuse jagen. Menschenaffen kennen dieselbe Art von Solidarität. Bei Feldforschungen im Tai-Nationalpark an der Elfenbeinküste wurden Schimpansen dabei beobachtet, wie sie Gruppenmitglieder pflegten, die von Leoparden verwundet worden waren; sie leckten ihnen das Blut weg, säuberten die Wunden und sorgten dafür, daß keine Insekten in die Nähe kamen. Sie verscheuchten Fliegen, schützten die verletzten Gefährten und drosselten das Tempo, wenn diese nicht mitkamen. All dies erscheint absolut logisch, wenn man bedenkt, daß Schimpansen aus gutem Grund in Gruppen leben, genau wie Wölfe und Menschen aus gutem Grund Herdentiere sind. Wir stünden nicht da, wo wir heute sind, wenn unsere Vorfahren auf Distanz zueinander gegangen wären. Ich erkenne daher das Gegenteil des traditionellen Bildes einer Natur, die 'blutrot an Zähnen und Klauen' ist, für die das Individuum zuerst kommt und die Gesellschaft etwas Nachgeordnetes ist. Man kann die Früchte des Gruppenlebens nicht ernten, ohne seinen Beitrag geleistet zu haben. Jedes soziale Tier findet seine eigene Balance zwischen beidem. Einige verhalten sich relativ garstig, andere relativ nett. Aber selbst noch die rabiatesten Gesellschaften, beispielsweise die von Pavianen und Makaken, halten die interne Zwietracht in Schach. Die Leute glauben oft, in der Natur bedeute Schwäche automatisch Eliminierung - ein Prinzip, das zum 'Gesetz des Dschungels' aufgebauscht wird -, in Wirklichkeit aber erfreuen sich soziale Tiere beachtlicher Toleranz und Unterstützung. Was wäre sonst der Sinn des Zusammenlebens?
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