Beschreibung
"Unterwegs nach Cold Mountain" war als Buch ein Welterfolg und die Verfilmung ein oscargekröntes Meisterwerk. Mit seinem zweiten Roman beweist Charles Frazier, dass er zu recht als einer der größten Schriftsteller unserer Tage gefeiert wird: "Dreizehn Monde" ist die Geschichte eines abenteuerlichen Lebens, einer großen unerfüllten Liebe und eines vergessenen Volkes, und sie überspannt das ganze 19. Jahrhundert Amerikas. Ein Roman wie ein gewaltiges Gemälde, das sich in unser Gedächtnis brennt. Will Cooper ist ein zwölfjähriger Waisenjunge, als ihm ein Schlüssel in die Hand gedrückt wird und er sich zu Pferd ins Indianerland aufmachen muss. Wir schreiben das Jahr 1820, das Land hinter den Appalachen ist ein einziger riesiger weißer Fleck auf der Landkarte. Am Ende seiner langen und abenteuerlichen Reise durch die Wildnis wartet eine verwahrloste Handelsstation, in der er mehr Spinnweben und Staub als Waren vorfindet. Will ist allein, aber nicht einsam. Er hat Bücher und er hat Gesellschaft von Cherokees, die das Land seit Urzeiten bewohnen. Von ihnen wird der Außenseiter aufgenommen und respektiert, er lernt über die Jahre ihre Lebensweise und ihre Kultur kennen, er lernt ihre Sprache. Und er verliebt sich in Claire, die junge Frau eines reichen und gefürchteten Kriegers. Einen Sommer lang leben sie heimlich ihre verbotene Liebe, doch das Mädchen bleibt Will ein Rätsel, und es zu lösen hat er keine Zeit: Die Gier der Weißen bestimmt das Schicksal auch der Cherokees. Will fühlt sich als einer von ihnen und der Kampf für sein Volk führt ihn bis nach Washington ins Weiße Haus. Als Soldaten die Menschen aus den Hütten treiben und auf einen Todesmarsch schicken, da verliert sich auch Claires Spur, doch Will weiß, dass er nie aufhören wird, nach ihr zu suchen. Mit lebensklugem Humor und großer Sehnsucht lässt Charles Frazier seinen Helden die ewige Suche nach Liebe, Frieden und Heimat erzählen, und so entfaltet sich das große Panorama einer Welt, die in Legenden und Mythen weiterlebt.
Leseprobe
Knochenmond Es gibt kein schmerzloses Entrücktsein. Die Liebe und die Zeit haben mich in diesen Zustand versetzt. Bald breche ich auf in das Nachtland, in das überzuwechseln alle Geister von Menschen und Tieren sich sehnen. Wir werden dorthin gerufen. Ich spüre den Sog, wie alle anderen. Es ist das letzte unerforschte Gebiet und ein dunkler Weg bis dorthin. Ein kummervoller Weg. Und vielleicht wartet am Ende nicht gerade das Paradies. Während meiner großzügig bemessenen und dennoch ungenügenden Zeitspanne auf Erden bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass wir im Jenseits so gebrochen ankommen, wie wir diese Welt verlassen haben. Andererseits bin ich immer gerne gereist. An bewölkten Tagen sitze ich am Feuer und spreche nichts als Cherokee. Oder ich sitze schweigend mit Stift und Papier und übertrage die Sprache in Sequoyas Silbentabelle, wobei die Schriftzeichen sich unter meiner Hand formen wie Hühnerklauen-Hieroglyphen. An sonnigen Tagen sitze ich im Schaukelstuhl auf der Veranda, in eine Decke gewickelt, und lese und genieße die Aussicht. Vor vielen Jahrzehnten, als ich meine Farm auf unberührtem Land erbaute, richtete ich die Hausfront westwärts aus, zur höchsten Bergkette hin. Es ist ein großartiges, weites Panorama. Der Fluss und das Tal und dann die Kuppen und blauen Kämme, übereinandergetürmt und zerklüftet, so weit das Auge reicht. Bear und ich besaßen einst alles Land, das von meiner Veranda aus zu sehen war, und noch viel mehr. Die Leute meinten, im alten Europa hätte unser Grund und Boden ausgereicht, ein eigenes kleines Land zu bilden. Jetzt habe ich nur noch die eine kleine Anhöhe, die zum Fluss hin abfällt. Die scheußliche neue Eisenbahn, von der ich etliche Aktien besitze, fährt quer durch meinen Vorgarten. Die schwarzen Züge kommen zweimal am Tag angedampft, und im Sommer, wenn die Fenster offen stehen, wischt das Hausmädchen mindestens dreimal pro Woche den Ruß von allen waagrechten Möbelflächen. Auf der anderen Seite des Flusses verläuft eine Straße, in irgendeiner Form schon seit der Zeit von Elch und Büffel vorhanden, die beide längst ausgerottet sind. Heutzutage brechen Maultiere, die Wagen ziehen, seitwärts aus der Spur, wenn Automobile vorbeikommen. Neulich sah ich ein hübsches Exemplar: gelb wie ein Kanarienvogel, mit polierten Messingleisten. Es hatte eine Windschutzscheibe wie ein überdimensioniertes Monokel, und es brauste in einer Geschwindigkeit vorbei, die wohl nahezu eine Meile pro Minute betrug. Der rote Schal des Fahrers flatterte drei Fuß lang wie eine Fahne hinter ihm her. Widerlich waren mir der Lärm und der Staub, der noch lange in der Luft hing, nachdem das Automobil verschwunden war. Aber wenn ich zwanzig wäre, würde ich wohl herausfinden wollen, wo man eins von diesen schnellen Ungetümen kaufen kann. Die Nacht ist nun elektrifiziert. Am Abend kommt May in mein Zimmer. Der Türknauf dreht sich, der Riegel klickt im Schloss. Die aufschwingende Tür wirft einen gelben Lichtkegel an die Wand. Luft weht herein und bringt den Geruch der Rindfleischreste von unserem Abendessen mit. Ihre schmale dunkle Hand dreht den Lichtschalter und schließt die Tür. Kein Wort wird gesprochen. Das grelle Licht ist Botschaft genug. Eine klare Glühbirne hängt mitten im Raum an einer Schnur aus braunem Webstoff. Neue Kabel laufen in einer hässlichen Metallröhre die Wand hinab. Der kleine gleißende Faden in der nackten Birne brennt ein zorniges Kleeblattmuster auf meine Augäpfel, das bis zum Morgengrauen anhalten wird. Entweder heißt es jetzt aufstehen und die Elektrizität ausschalten und zum Lesen eine Kerze anzünden oder geblendet werden. Ich stehe auf und schalte das Licht aus. May ist töricht genug, mir mit Streichhölzern zu vertrauen. Ich zünde zwei dünne Wachskerzen an und stelle einen polierten Zinnteller dahinter auf, um gelbes Licht widerzuspiegeln. Genau so, wie ich im letzten Jahrhundert Buchseiten und Heftseiten an tausend Lagerfeuern erleuchtet habe. Ich lese den Lancelot von Chretien d Leseprobe