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Leseprobe
Prolog The shore is safer, but I love to buffet the sea. Das Ufer ist sicherer, aber ich liebe den Kampf mit den Wellen. Emily Dickinson, The Pagan Sphinx Ein Handy? Anfangs sahen Sie nicht die Notwendigkeit, aber weil Sie nicht altmodisch erscheinen wollten, entschlossen Sie sich dann doch für ein einfaches Modell mit einem minimalen Grundtarif. In der ersten Zeit überraschten Sie sich manchmal selbst dabei, wie Sie - vielleicht etwas zu laut - in einem Restaurant, im Zug oder auf der Terrasse eines Cafés telefonierten. Eigentlich ganz praktisch und auch beruhigend, ständig mit der Familie und Freunden kommunizieren zu können. Wie alle anderen haben Sie gelernt, auf der winzigen Tastatur SMS zu schreiben, und sich daran gewöhnt, sie ständig zu verschicken. Wie alle anderen haben Sie den guten alten Terminkalender durch die elektronische Version ersetzt. Mit Fleiß und Geduld haben Sie die Telefonnummern Ihrer Freunde und Verwandten übertragen. Die Nummer des Liebhabers und der verflossenen Geliebten sowie die Geheimzahl der Kreditkarte, die Sie manchmal vergessen, haben Sie in einer verschlüsselten Datei vermerkt. Obwohl die Qualität miserabel war, benutzten Sie das Handy, um Fotos zu schießen. Nett, immer ein lustiges Bild zur Hand zu haben, das man dann den Kollegen zeigen kann. Das machten schließlich alle so. Die Verwendung des Geräts entsprach dem Trend der Zeit: Die Grenzen zwischen privatem, beruflichem und gesellschaftlichem Leben verschwammen. Und vor allem wurden die alltäglichen Dinge dringlicher und mussten flexibler gehandhabt werden, was ein stetiges Jonglieren mit Terminen erforderte. Unlängst haben Sie das alte Handy gegen einen neues, viel perfekteres ausgetauscht: Ein wahres Wunder der Technik, mit dem man E-Mails abrufen und verschicken, im Internet surfen und auf das man Hunderte von kleinen Anwendungen, sogenannte Apps, herunterladen kann. Und seither sind Sie quasi süchtig. Als hätte man Ihnen ein Implantat eingepflanzt, eine Art Erweiterung Ihrer selbst, die Sie stets begleitet - bis hin ins Bad und auf die Toilette. Wo auch immer Sie sich gerade befinden, es vergeht selten eine halbe Stunde, ohne dass Sie einen Blick auf das Display werfen, um sich davon zu überzeugen, dass es keine entgangenen Anrufe, keine SMS von Freunden oder dem Liebhaber gibt. Zeigt der Account nichts Neues an, sehen Sie sofort nach, ob keine Mail im Posteingang vorliegt. Wie in der Kindheit das Plüschtier so gibt Ihnen heute das Handy Sicherheit. Das Display hat eine beruhigende und zugleich hypnotisierende Wirkung. In jeder Lebenslage verleiht es Ihnen Haltung und erleichtert den spontanen Kontakt, der alle Möglichkeiten offenlässt. Doch eines Abends kommen Sie nach Hause, wühlen in Ihren Taschen und stellen fest, dass Ihr Handy verschwunden ist. Verloren? Gestohlen? Nein, unmöglich. Sie stellen noch einmal alles auf den Kopf - erfolglos - und versuchen sich einzureden, dass Sie es im Büro vergessen haben, aber. Nein, Sie erinnern sich genau, dass Sie es benutzt haben, als Sie im Aufzug nach unten gefahren sind. Dann also zweifellos in der Metro oder im Bus. Mist ! Zunächst sind Sie wütend wegen des Verlustes an sich, dann beglückwünschen Sie sich dazu, eine Diebstahl-Verlust-Schaden-Versicherung abgeschlossen zu haben. Und zugleich zählen Sie Ihre Treuepunkte, die Ihnen die Möglichkeit geben, sich schon morgen ein neues Hightech-Spielzeug zu besorgen - diesmal mit Touchscreen. Und doch sind Sie um drei Uhr morgens noch immer nicht eingeschlafen. Sie stehen leise auf, um den Mann an Ihrer Seite nicht zu wecken. In der Küche holen Sie die alte Schachtel Zigaretten vom Schrank, die Sie dort verstecken, für den Fall, dass es Ihnen einmal wirklich schlecht geht. Sie rauchen eine und trinken - wenn schon, denn schon - ein Glas Wodka dazu. Scheiße. Sie sitzen zusammengesunken auf einem Stuhl und frieren, denn wegen des Rauchs mussten Sie das Fenster öffnen. Sie gehen im Ge
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Zwei vertauschte Handys - zwei verbundene Schicksale