Beschreibung
Es kommt einer Sensation gleich, wenn siebzig Jahre nach den Novemberpogromen 1938 erschütternde Augenzeugenberichte ans Tageslicht gelangen. Sie waren 1939/40 im Rahmen eines Aufrufs der Universität Harvard gesammelt worden, an dem sich mehr als 250 Emigranten beteiligten. Eine vergleichbar dichte, authentische Schilderung des von den Nazis organisierten Terrors gegen die jüdischen Mitbürger in Deutschland und Österreich gibt es nicht. Während jener Pogrome waren etwa 400 Juden ermordet oder in den Tod getrieben worden, 30 000 wurden in Gefängnissen und Konzentrationslagern inhaftiert und schwer misshandelt. Zehntausende verließen daraufhin ihre Heimat, schockiert von dem, was viele Zeitgenossen als den größten Zivilisationsbruch der Geschichte empfanden. Was sie mitnahmen, war der Schmerz des Abschieds, aber auch die Erinnerung an grauenhafte Szenen: die Überfälle betrunkener Nazi-Horden, die öffentlichen Demütigungen, das Niederbrennen der Synagogen, die unmenschlichen Zustände in den überfüllten Gefängniszellen und KZ-Baracken. Die Reaktionen der Nachbarn und Passanten auf diese Barbarei reichten von Anteilnahme und Hilfeleistung bis zu Hohn, Spott und Übergriffen. Der Initiator des Harvard-Projektes, der Soziologe Edward Hartshorne, stellte die bewegenden Zeugnisse zu einem Buch zusammen, das er wegen des Kriegs-eintritts der USA jedoch nicht mehr veröffentlichen konnte. Er wechselte in den Geheimdienst, die Berichte fielen dem Vergessen anheim. Durch einen Zufall wurde jetzt das Originalmanuskript gefunden. Sorgfältig ediert und kommentiert durch die Herausgeber, mit einem Vorwort von Saul Friedländer versehen, wird es hier erstmals zugänglich gemacht.
Autorenportrait
Uta Gerhardt, geboren 1938 in Thüringen, Soziologin, lehrte unter anderem an den Universitäten Berlin, Konstanz, London und Heidelberg sowie an der New York University und der Harvard University. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, darunter zuletzt »Soziologie der Stunde Null« (Frankfurt am Main 2005) und »Soziologie im 20. Jahrhundert« (Stuttgart 2009).