Beschreibung
Laura lernt David in Lissabon kennen. Beide sind Gäste eines internationalen Poesiefestivals, sie, die glücklich verheiratete Dichterin aus Österreich, er, der berühmte Schriftsteller aus London, der ihr vom ersten Augenblick an ein Gefühl der Nähe vermittelt. Zwischen ihnen bahnt sich eine Beziehung an, vor der beide zurückscheuen, wohl wissend, dass sie ihr nicht entkommen werden. Ein raffinierter Roman über Liebe, Begehren und die Frage, wo der Verrat beginnt.
Autorenportrait
Evelyn Schlag, geboren 1952 in Waidhofen an der Ybbs, wo sie auch lebt. Sie studierte Germanistik und Anglistik und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Anton-Wildgans-Preis und den Österreichischen Kunstpreis. Bei Zsolnay sind zuletzt der Roman Die große Freiheit des Ferenc Puskás (2011) und der Gedichtband verlangsamte raserei (2014) erschienen. 2016 wurde ihr neuer Roman Yemen Café veröffentlicht.
Leseprobe
Sie fuhren ein letztes Mal auf die Festung. Sie setzten sich ein letztes Mal zu einem üppigen Abendessen mit vielen Gängen an runde Tische, diesmal im obersten Stock der Casa Pessoa. Der Mann der Dichterin mit dem roten Haar hatte ein Fußballspiel im Fernsehen gesehen und war prächtig aufgelegt. Ihm gegenüber saß ein portugiesischer Industrieller, mit dem der begeisterte Ire den Plan entwarf, ein Regiment zur Befreiung Ulsters zusammenzustellen. Nachdem alle wiederholt von den Desserts genommen hatten, verlagerte sich die Gesellschaft in das darunterliegende Stockwerk, wo ein Flügel stand. Zwei Musiker spielten Klavier und Cello, ein gemäßigt atonales Stück, bei dem der Dichter mit der sehr jungen Frau vor ihnen manchmal mit dem Kopf vornüber sank. Wenn Laura zur Seite blickte, in Davids blitzende Augen, die Zynismus und eine unbändige Lust am Sehen so problemlos vereinen konnten, wußte sie nicht, ob er sich über die Musik amüsierte, die es so schwer hatte, oder ob ihm wirklich gefiel, was er hörte. Oder ob er ihr neuerliches Nachfragen kommentierte. Dann verwies er sie schon wieder zu den zwei Musikern mit einem gespielt ernsten Blick und Vorschieben seines Kinns. Als das Stück zu Ende war, klatschte David kräftig in die Hände. Zur allgemeinen Überraschung trat die Dichterin mit den roten Haaren vor das Publikum. Sie legte sich das eine Ende ihres neuen schwarzen Buchstabenschals über die Schulter, faltete die Hände vor dem Bauch und kündigte an, ein irisches Lied singen zu wollen. Sie setzte sich auf einen Sessel neben dem Klavier, schloß die Augen. Sofort verstummte alles Geflüster. Unbeweglich, mit einer feinen hohen Stimme, die aus einer Steinfigur zu kommen schien, sang sie in vielen Strophen ein altes Lied von einem Burschen, der zur IRA geht. Und von seinem Mädchen, das auf ihn wartet. Und wie er nicht wiederkommt. Ihre geschlossenen Augen waren jetzt wie der trostlose Blick des Mädchens, das auf einer Steinmauer sitzt und weiß, es wird allein zu Bett gehen. Sie schlug die Augen auf, nahm den Beifall entgegen und holte sich ein Glas Wein. I didn't know you were such a wonderful singer, sagte David. Thank you. You two must marry and live in Ireland, antwortete die Dichterin mit dem roten Haar und drehte sich im nächsten Moment von ihnen weg, um mit den portugiesischen Gastgebern anzustoßen.So, will you bring me your book tonight or tomorrow at breakfast? fragte er Laura im Lift im Hotel. Während er einen Stock höher fuhr, ging sie in ihr Zimmer, nahm den Gedichtband und überlegte, was sie ihm als Widmung hineinschreiben sollte. Alles war unmöglich. Sie suchte das kürzeste Gedicht aus - von der Amsel, die auf der Antenne sitzt und ein neues Lied singt. Es sei also ein Baum, auch wenn mir die Krallen zittern. Sie schrieb es auf das erste Blatt und wartete ein paar Minuten, dann ging sie zum Lift. Es fiel ihr ein, daß Maria aus Finnland im Zimmer gegenüber dem Lift wohnte. Wenn sie noch wach war, konnte sie hören, wie jemand die Tür schloß, den Lift holte und im nächsten Stockwerk ausstieg. Sie klopfte an Davids Tür. Es vergingen ein paar Sekunden, ehe er aufmachte. Der Vorhang des weit offenen Fensters griff wild in den Raum. Von der Avenida drängte der Verkehrslärm herauf. Es war halb dunkel im Zimmer, Licht kam nur von der Lampe auf dem Schreibtisch. Er drückte schnell die Tür hinter ihr zu. Sie hielt ihm ihr Buch hin. Oh, thank you, I'll send you mine. It is beautiful. I mean, yours is. Laura spürte, wie die Nervosität ihre Blicke fahrig machte, intensiv und fremd zugleich, ein schnelles Hinschauen und über seine Augen Gleiten. Die Faszination, die er auf s Leseprobe