Beschreibung
Neun Abende lang erzählt Maria, hören wir der Geschichte einer Leidenschaft zu. Hals über Kopf und hochbewußt stürzt sich Maria in ein Abenteuer mit Leo. Amüsiert schaut sie zu, wie ihr Vorortleben - mit Einkaufszentrum, lieben Freunden und wohlmeinenden Anbetern - eine lustvolle Beschleunigung bekommt: Soireen in gemischter Gesellschaft, Liebesnächte und eine erotische Tour nach Heidelberg. Und doch hat sie das Gefühl, nicht ganz die Herrin dieser Geschichte zu sein. Spät, in den verschneiten Bergen eines Schweizer Alpendorfs, erkennt Maria die Wahrheit hinter den Ereignissen - die Regie. Und sie fürchtet den Augenblick, in dem es mit ihrem Bericht ein Ende hat. Märchenhaft und zuweilen fast übermütig in seinem Reichtum an Momenten ekstatischer Wahrnehmung, erzählt dieser Roman von einer Verzauberung und ihrer Aufhebung durch einen Gewaltakt. Auf dem Höhepunkt ihrer Kunst erzählt Brigitte Kronauer diesen großen Roman, der in die Tradition der deutschen Literatur und in aktuellste Gegenwart tief eingelassen ist.
Autorenportrait
Brigitte Kronauer, 1940 in Essen geboren, lebte als freie Schriftstellerin in Hamburg. Ihr schriftstellerisches Werk wurde unter anderem mit dem Fontane-Preis der Stadt Berlin, mit dem Heinrich-Böll-Preis, dem Hubert-Fichte-Preis der Stadt Hamburg, dem Joseph-Breitbach-Preis und dem Jean-Paul-Preis ausgezeichnet. 2005 wurde ihr von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung der Büchner-Preis verliehen. Brigitte Kronauer verstarb im Juli 2019.
Leseprobe
Im EEZ, unmittelbar vor dem Zusammenstoß mit einem fremden Paar, muß ich in merkwürdiger Stimmung gewesen sein. Momentan keine Ahnung, wieviel Zeit inzwischen vergangen ist. Ich hatte auf meine Uhr gesehen. Genau sechs! Und dann auf eine männliche Schaufensterpuppe, die einen dreifarbigen Slip trug. Das lebensecht gewölbte Mittelstück grün, die gelben Seitenteile durch rote Abnäher fröhlich separiert, und mir war so traurig zumute. Ich wußte nicht, warum. 'Mein Vöglein mit dem Ringlein rot singt Leide, Leide, Leide, es singt dem Täublein seinen Tod singt Leide, Lei -' ging mir noch durch den Kopf. Da lag ich schon auf den Knien, spürte einen eindeutigen körperlichen Schmerz und hörte wie von fern: 'Zuküth, ziküth, ziküth.' 'Wie blöd, wie blöd', wurde gleichzeitig oder in Wirklichkeit ganz in meiner Nähe geflüstert. Aber der Mann, der umständehalber mit mir auf dem Boden kniete und mich versehentlich umschlang, hatte es nicht gesagt. Er lächelte ja, ohne den Mund zu öffnen, ohne die Lider zu heben, was mich sofort aufreizte. Noch bevor ich feststellen konnte, daß wir in unseren gegenwärtigen Positionen gleich groß waren, genoß ich den Eindruck, blitzschnell, ehe er vorüber war, in den Armen eines eleganten Verbrechers gelandet zu sein. Hatte ich mir das etwa mein Leben lang gewünscht?
Schlagzeile
Der Roman einer Verzauberung - und ihr Ende.