Beschreibung
Die Chance der Krise ein grüner New Deal?Sie sind gebildet, vermögend und bestens gelaunt. Denn sie wissen, dass man durch qualitätsbewussten Konsum die Welt verbessert: Indem sie es sich richtig gut gehen lassen, retten die Lohas uns alle.
Früher prägten gesellschaftliche Ereignisse und Revolten eine Generation. Das hat sich spätestens in den Neunzigerjahren verändert: Die Heranwachsenden bezogen ihre Identität nicht mehr aus kollektiven Protesterlebnissen, sondern aus dem Konsum von Marken. Daher zielt die öffentlich wahrnehmbare Sehnsucht heute nicht mehr auf eine bessere Welt, sondern auf bessere Produkte. Aus gesellschaftlichen Bewegungen sind bloße Stilgemeinschaften geworden. Deren wichtigste ist die der Lohas. Sie glauben, Hedonismus und Moral, Egoismus und Gesellschaftsveränderung verbinden zu können: im politischen Akt des richtigen Shoppens. Kein Wunder, dass immer mehr Menschen Lohas werden.
Ob die Welt auf diese Weise besser werden könnte, ist eine ganz andere Frage. Denn die Industrie hat die Kaufkraft und Meinungsmacht der Lifestyle-Ökos längst erkannt, die Werbung auf sie abgestellt und die Produktpaletten grün bestrichen. Dem Glauben, durch Konsum die Welt schmerzfrei verändern zu können, rückt Kathrin Hartmann mit hart recherchierten Fakten und bestechenden Analysen zu Leibe. Wir drucken sie auf FSC-zertifiziertem Papier. Denn dieses Buch braucht die Welt wirklich.
Wie aus einer Protestbewegung eine Stilgemeinschaft wurde
Bio = gut für uns und die Umwelt. Aber die Rechnung geht nicht auf
Beschreibt kritisch und humorvoll das Lebensgefühl einer ganzen Generation
Autorenportrait
Kathrin Hartmann, geboren 1972 in Ulm, studierte in Frankfurt/Main Kunstgeschichte, Philosophie und Skandinavistik. Nach einem Volontariat bei der »Frankfurter Rundschau« war sie dort Redakteurin für Nachrichten und Politik. Von 2006 bis 2009 arbeitete sie als Redakteurin bei »Neon«. 2009 erschien bei Blessing "Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt.", 2012 erregte ihr Buch über die neue Armut - "Wir müssen leider draußen bleiben" - großes Aufsehen. Kathrin Hartmann lebt und arbeitet in München.
Leseprobe
Das neue Heilsversprechen -Weltrettung mit guter Laune und ohne Verzicht
Wenn man heute seinen Einkaufswagen durch die Gänge eines gewöhnlichen Supermarkts schiebt, könnte man auf die Idee kommen, die Weltrettung stünde unmittelbar bevor: Wer einen Kasten Krombacher-Bier kauft, rettet einen Quadratmeter Regenwald. Der Mineralwasserhersteller Volvic spendiert Brunnenwasser für die Sahelzone, Ritter Sport zahlt pro Tafel 1,4 Cent für Schulmaterial in Afrika, Blend-a-med einen Cent für ein Gesundheitszentrum in einem SOS-Kinderdorf. Mit Dosenmilch kann man Bären retten, mit Klobrillen Delfine, mit Putzschwämmen die Artenvielfalt, und mit dem richtigen Waschmittel kann man Energie sparen. Selbst Lidl, Plus und Aldi haben Bio im Regal stehen, und wer einige der jährlich von Iglo (!) hergestellten 500 Millionen (!!) Fischstäbchen (!!!) isst, trägt zum Schutz der Meere bei.
Wer Bionade trinkt, trinkt nicht nur einen Öko-Sprudel aus der Rhön, sondern das »offizielle Getränk einer besseren Welt« - und dürfte sich angesichts der mehr als 200 Millionen verkauften Flaschen pro Jahr schon fast im Paradies wähnen. Mit Holzskiern aus nachwachsenden Rohstoffen kann man in einem »klimaneutralen« Skiort nachhaltig die Berge kaputt fahren, und Wedding-Planer bieten »grüne Hochzeitsfeiern« an: Bei diesen ist das Kleid aus nachwachsenden Rohstoffen, das Essen öko, die Einladung auf Recyclingpapier gedruckt - das passt besonders gut, wenn man seinen Partner in einem »Green«- oder »Ethical Dating«-Portal gefunden hat. Und selbst ein Grillabend ist praktizierter Klimaschutz, sofern die richtige Bratwurst auf dem Rost liegt, denn, Achtung: »Superwurst rettet die Welt«, hurra, es gibt die erste »klimaneutrale« Bio-Bratwurst, und damit muss auch niemand mehr seinen nicht nur ethisch, sondern auch ökologisch fragwürdigen Fleischverzehr überdenken.
Wird jetzt endlich alles gut? Immerhin, dass der Kunde begreift, unter welchen Bedingungen seine Produkte hergestellt werden und was das nun wieder für Mensch, Umwelt und Klima bedeutet, darauf arbeiten Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen ja schon seit Jahrzehnten hin - um mithilfe kollektiver öffentlicher Empörung auf Unternehmen und Politik Druck auszuüben, verbindliche soziale und ökologische Standards zu entwickeln und diese per Gesetz zu installieren und ihre Einhaltung zu überprüfen. Haben sie es jetzt also endlich begriffen, Unternehmen wie Kunden?
Lifestyle of Health and Sustainability, kurz: LOHAS, heißt der neogrüne Shopping-Trend, der sich selbst als »gesellschaftliche Veränderungsbewegung« feiert und seine Mitglieder als »moralische Hedonisten« und »pragmatische Idealisten«: Je nach Studie sind zehn bis dreißig Prozent der Deutschen diesem Lebensstil zugetan. Aber leider ist diese neue Öko-Welle keine politische Bewegung, sondern lediglich eine Auffrischung des Konsumgedankens. Sie hat nichts zu tun mit Boykott oder Kampagnen und schon gar nichts mit Verzicht. Es handelt sich nicht um eine homogene Gruppe, die nach verbindlichen Grundsätzen agiert. Sondern um eine, laut Marktforschungsstudien stetig größer werdende, Anzahl von Menschen aus den besser verdienenden Schichten, die es als ihren gesellschaftlichen Beitrag ansehen, ihren Konsum zumindest zeitweise nach individuellen Vorstellungen ökologisch zu gestalten.
Auf den ersten Blick scheint es den LOHAS zu gelingen, Unvereinbares zusammenzubringen: »Der Lebensstil des Sowohl-als-auch schmiedet Allianzen zwischen Lebensbereichen, Stilen, Überzeugungen und Formen des Genusses, die bislang als unvereinbar galten. Am Ende der Ideologien steht eine neue Lebenslust, Unvoreingenommenheit und Spontaneität«, definieren Anja Kirig und Eike Wenzel vom Zukunftsinstitut in ihrem Buch LOHAS. Bewusst grün - alles über die neuen Lebenswelten diese neue Philosophie nach dem »Ende der Ideologien« und der »Entweder-oder-Schemata«. Wenzel hat den US-Trend mit der Studie Zielgruppe LOHAS. Wie der grüne Lifestyle die Märkte erobert 2007 in Deutschland populär gema kaufen, das den CO2-Ausstoß irgendwo auf der Welt einsparen soll. Und, wenn man sich's leisten kann, ein Hybrid- oder Dreiliterauto kaufen so wie die Stars in Hollywood (die allerdings, wie George Clooney, nebenbei noch einen Privatjet besitzen), am besten bei einem Autohändler, der dafür einen Baum pflanzen lässt. Damit dann am Wochenende zum Hofladen draußen vor der Stadt fahren, der so authentisch ist und mitten in idyllischer Natur gelegen.
Die neuen Ökos ketten sich nicht an Schienen und Bäume. Weder blockieren sie Werktore, noch stellen sie erschütternde Bilder gequälter Tiere vor Pelzgeschäften auf. Sie tragen stattdessen »Öko-Pelz«. Die Lifestyle-Ökos sind keine stilvolle, lustbetonte Variante der klassischen Ökos der 70er und 80er Jahre. Deren Anspruch war es ja nie, dass sich Ethik, Coolness und gutes Aussehen vereinen lassen müssen. Und sie hätten auch nicht im Zweifelsfall die Ethik der Ästhetik untergeordnet.
Der echte Öko suchte nicht nach Kompromissen, sondern verweigerte sich für alle sichtbar bestimmten Bereichen des Konsums und koppelte daran unmissverständlich die politische Forderung nach einer gerechten Wirtschaftsordnung. Leider hat ihm das bis heute den Ruf des hässlichen, ungewaschenen, Müsli und schrumpeliges Gemüse mümmelnden, moralinübersäuerten, genussunfähigen Wollsockenträgers eingebracht. Und zwar vonseiten jener gut gelaunten Hedonisten, die auf einmal ethisch korrekten Konsum propagieren.
»Die Zeiten, in denen ein Paar Ökos mit Ringelsocken Müsli essend und verbissen durch die Welt gerannt sind, die sind vorbei«, sagt Johannes B. Kerner, Moderator der gleichnamigen ZDF-Sendung, am 12. März 2009 in die Kamera, »mittlerweile weiß jeder: Umweltschutz ist wichtig.« Schau an, denkt man sich, jetzt auch noch der Herr Kerner, ausgerechnet, während der derweil so tut, als versuche er, sein verschmitztes Grinsen der Vorfreude im Zaum zu halten. Denn diese 1111. Sendung soll besonders werden, besonders öko. Im Studio sitzen Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, der Klimaforscher Mojib Latif, Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer und Claudia Langer, Ex-Werbeagenturchefin und Gründerin der Utopia AG, des Online-Portals für »strategischen Konsum«, die das ZDF zu diesem Öko-Event und »dem bislang einzigartigen Experiment im deutschen Fernsehen« (ZDF-Homepage) angestiftet hat.
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