Beschreibung
'Es wäre mir eine große Freude, Ihnen von malenden schwarzen Blumen zu erzählen. Von ihren Duftnoten und Farbtönen, ihrer Resilienz und ihrem Großmut, ihrer Nahrhaftigkeit, von ihren heilenden Kräften. Was wir alles von diesen seltenen Blumen lernen könnten!' Aber um malende schwarze Blumen geht es in der Rede, mit der Sharon Dodua Otoo am 17. Juni 2020 die 44. Tage der deutschsprachigen Literatur eröffnet hat, nicht. Dürfen schwarze Blumen malen? Dürfen Schwarze Blumen malen? Die Rede der Bachmann-Preisträgerin 2016 handelt von Menschen, die als Objekte der Sprache oft genug Diskriminierung erfahren, und von Menschen, die als Subjekte der Sprache die Wahl haben, wie sie mit ihr umgehen: '>Lehrer*innen< hat nicht die gleiche Bedeutung wie >Lehrerinnen und Lehrer<, >Fremdenfeindlichkeit< schreibe ich nicht, wenn ich >Rassismus< meine, und >schwarz< ist nicht gleich >Schwarz.<' Mit Genauigkeit und einer guten Portion Humor führt Otoo vor, wie komplex Sprache ist, dass sie sich immer im gesellschaftlichen Kontext bewegt und dass zum respektvollen Umgang mit ihr auch Unsicherheit gehört - 'sie ist ein immens wichtiger Teil des Lernens. Wir dürfen Fehler machen'. Und die Autorin ist optimistisch: 'Eine Sprache, die es geschafft hat, sich von >Fräulein< zu verabschieden und ein Wort wie >Safari< willkommen zu heißen, ist stark genug, um weitere Upgrades zu verkraften. Oder zumindest, um einen souveränen Aushandlungsprozess zuzulassen.' 'Wir dürfen, wenn es um Sprache und Literatur geht, recht viel. Gesetze, die Verstöße gegen die sogenannte Political Correctness regeln, gibt es keine. Leute, die behaupten: >Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!<, haben - mit wenigen Ausnahmen - absolut recht. Die Meinungsfreiheit ist im gesamten deutschsprachigen Raum ein hohes Gut - sie ist eines der wichtigsten Menschenrechte überhaupt. Was es jedoch nicht gibt, obwohl sie bisweilen als Menschenrecht verstanden wird, ist Konsequenzen-Freiheit. Literatur wird nicht ohne gesellschaftlichen Kontext geschrieben und auch nicht ohne einen solchen rezipiert. Selbstverständlich dürfen wir den Kontext vernachlässigen. Die interessantere Frage ist aber, warum wir das tun.'
Autorenportrait
Sharon Dodua Otoo, geb. 1972 in London, gewann 2016 mit dem Text »Herr Gröttrup setzt sich hin« den Ingeborg-Bachmann-Preis und wurde mit mehreren Stipendien ausgezeichnet (Deutscher Literaturfonds 2018, TAGEWERK der Rinke-Stiftung 2019). Otoo schreibt Prosa und essayistische Texte und ist Herausgeberin der englischsprachigen Buchreihe »Witnessed« bei edition assemblage. Im gleichen Verlag erschien ihre erste Novelle »die dinge, die ich denke, während ich höflich lächle« 2012 auf Englisch und 2013 in deutscher Übersetzung. 2014 folgte »Synchronicity« zunächst in deutscher Übersetzung, anschließend 2015 als »the original story« auf Englisch. Politisch aktiv ist Otoo bei der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e. V. und bei Phoenix e. V. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.