Beschreibung
Am Vorabend des Ersten Weltkrieges ist der Katholizismus in Deutschland mit seinem Lieblingsthema beschäftigt: mit sich selbst. Die Moraltheologen haben ihre Lehren längst der Machtdoktrin des preußisch dominierten Kaiserreiches angeglichen. Als Wilhelm II. zu den Waffen ruft, übernehmen die Oberhirten bedenkenlos die staatliche Behauptung, es handele sich um eine gerechte Verteidigung gegen Angreifer. Viele kriegstheologische Beiträge der Bischöfe wirken heute wie bösartige Karikaturen auf das Christentum, verfasst von Feinden der Kirche. Die Bergpredigt Jesu wird 1914-1918 zensiert. Katholische Stimmen verschweigen oder leugnen die deutschen Massaker in Belgien, beteiligen sich an Voten für eine aggressive Eroberungspolitik, übernehmen die blutige Parole vom "Siegfrieden" und huldigen bis zum bitteren Ende dem Kriegskaiser. Friedensurkunden des Papstes werden hingegen in Bistumsblättern unterschlagen. Übrig bleibt ein bankrottes Kirchentum, das in den Augen vieler Menschen den Anspruch verspielt hat, Hüterin der Moral zu sein. Zu durchgreifenden Lernprozessen kommt es nicht.Der vorliegenden Sammelband enthält Studien der Theologen Wilhelm Achleitner (Österreich), Heinrich Missalla (1926-2018) und Thomas Ruster. Der Quellenteil umfasst die bislang umfangreichste Edition von Hirtenworten der Jahre 1914-1918, den berüchtigten Traktat "Der Krieg im Lichte des Evangeliums" von M. Faulhaber, Kriegsbetrachtungen von Jesuiten und Texte aus der Zeitschrift "Hochland".Das gründliche Studium des Ersten Weltkrieges ist Voraussetzung für ein Verständnis des erneuten kirchlichen Versagens 1939-1945 und führt schließlich zum Nachdenken über die Militarisierung der Politik heute. Der jüngste Vorwurf der "Nationalkirchlichkeit" kann nur widerlegt werden, wenn der freiheitsliebende und zu Recht reformbereite Katholizismus des deutschen Sprachraums in der Friedensfrage treuester Verbündeter des Bischofs von Rom wird. Daran entscheidet sich der synodale Prozess.(Kirche& Weltkrieg - Band 4)
Autorenportrait
Peter Bürger:Peter Bürger, geb. 1961 (Eslohe/Sauerland), Kriegsdienstverweigerer (Zivildienst), Theologiestudium in Bonn, Paderborn, Tübingen (Diplom 1987), examinierter Krankenpfleger, psycho-soziale Berufsfelder, ab 2003 freier Publizist (Düsseldorf, www.friedensbilder.de). Seit dem 18. Lebensjahr Mitglied der internationalen katholischen Friedensbewegung pax christi, später auch: Versöhnungsbund, DFG-VK, Solidarische Kirche im Rheinland. Mitarbeit im Ökumenischen Institut für Friedenstheologie. - Zahlreiche Veröffentlichungen u.a. zu: "Krieg& Massenkultur"; christliche Friedensdiskurse. Initiator des Editionsprojektes "kirche& weltkrieg" (https://kircheundweltkrieg.wordpress.com/).Wilhelm Achleitner:Dr. Wilhelm Achleitner, geboren 1952 in Steyr/Oberösterreich, 1971-1978 Philosophie- und Theologiestudium in Linz, Rom und Salzburg (Bakk. phil., Mag. theol.), 1978-1988 Ausbildungsleiter für Laientheolog*innen an der Universität Salzburg, 1988-1994 Univ. Ass. am Institut für Dogmatik der Theologischen Fakultät in Salzburg (Dr. theol.), 1994-2018 Direktor des diözesanen Bildungshauses Schloss Puchberg in Wels, seit der Pensionierung 2018 freischaffender Theologe, verheiratet, zwei Kinder und drei Enkelkinder. - Der Beitrag im vorliegenden Sammelband vermittelt Ergebnisse der Dissertation: W. Achleitner, Gott im Krieg. Die Theologie der österreichischen Bischöfe in den Hirtenbriefen zum Ersten Weltkrieg. Wien/Köln/Weimar 1997.Heinrich Missalla:Prof. Dr. Heinrich Missalla (1926-2018), geboren in der Arbeiterstadt Wanne-Eickel, gehörte von 1986 bis zum Jahr 2000 dem Präsidium der deutschen Sektion der Internationalen Katholischen Friedensbewegung pax christi an. Zwischen 1987 und 1996 war er auch Geistlicher Beirat der Bewegung. Sein Einsatz für den Frieden reicht freilich viel weiter zurück. Als Hintergrund kommt in der Autobiographie "Nichts muss so bleiben, wie es ist" (2009) eine Jugendzeit im Krieg zur Sprache: "Mit dem 15. Februar 1943 - kurz nach dem Ende der Schlacht um Stalingrad - wurde ich gezwungen, bei der leichten Flak-Abteilung 839 als Luftwaffenhelfer anzutreten. Mit 16 Jahren mussten wir Schüler Soldaten ersetzen, die an der Front gebraucht wurden." - Im Herkunftsmilieu Missallas wussten auch die Jungen, dass die Nationalsozialisten Feinde des Christentums waren und aufmüpfige Katholiken ins KZ sperrten. Doch man wollte gleichermaßen "treu deutsch und gut katholisch" sein. Gehorsam gegenüber der Obrigkeit galt als Katholikenpflicht. Nach Kriegsende bleibt der Jungsoldat Heinz Missalla bis Juni 1946 in Gefangenschaft, überwindet eine schwere Erkrankung und zweifelt an den "katholischen" Kriegskonstruktionen. Seit seiner Entlassung aus dem berühmten, von Franz Stock geleiteten "Stacheldrahtseminar" in Chartres hat ihn die Frage nach dem Frieden nicht mehr losgelassen. Mitte der 1950er Jahre wird der junge Priester Mitglied von pax christi, verspürt jedoch Unbehagen am sehr unpolitischen und zahmen Kurs der Bewegung. Kirchenleitung, katholische Verbände und Theologen unterstützen fast ausnahmslos die Wiederaufrüstung der Adenauer-Ära samt der nachfolgenden Pläne einer atomaren Bewaffnung. Missalla gehört zu den ungeliebten "Non-Konformisten". Mit seiner Pionierstudie "Gott mit uns" (1968) über die deutsche katholische Kriegspredigt 1914-1918 beleuchtet er den ersten Abgrund kirchlicher Kriegsassistenz im 20. Jahrhundert. In den 1970er Jahren folgen gründliche Forschungen zur katholischen Militärseelsorge in Hitlers Wehrmacht, die zu drei weiteren Buchprojekten führen: "Für Volk und Vaterland" (1978), "Wie der Krieg zur Schule Gottes wurde" (1997), "Die Verstrickung der katholischen Seelsorge in Hitlers Krieg" (1999); zuletzt "Erinnern um der Zukunft willen. Wie die katholischen Bischöfe Hitlers Krieg unterstützt haben" (Publik Forum 2015). - Missalla wurde bei kritischen Katholiken im ganzen Land bekannt. Zeitweilig kam es jedoch zum Redeverbot in einigen kirchlichen Akademien!Thomas Ruster:Prof. Dr. Thomas Ruster, geboren 1955 in Köln, Studium der Kath. Theologie in Bonn und Paris, Promotion 1983 über "Sakramentales Verstehen", Habilitation 1994 mit "Die verlorene Nützlichkeit der Religion" über die Kath. Theologie in der Weimarer Republik. Seit 1995 Professor für Systematische Theologie (Dogmatik) an der TU Dortmund. Theologische Weichenstellung mit dem Buch "Der verwechselbare Gott. Theologie nach der Entflechtung von Christentum und Religion" (2000) mit der These, dass Gott in der Christentumsgeschichte in der Regel mit der alles bestimmenden Wirklichkeit verwechselt worden und das Christentum erst dadurch zur Religion geworden ist. Hauptwerk "Von Menschen, Mächten und Gewalten" (2005) mit einer systemtheoretischen Rekonstruktion dessen, was mit dem Bekenntnis zu Gott als dem Herrn aller Mächte und Gewalten gemeint ist. Die antikapitalistische Wendung dieses Ansatzes führte zu langjährigem Engagement in der Geldreformbewegung, u.a. im Rahmen des Vereins "Christen für gerechte Wirtschaftsordnung e.V.". In der Folge mehrere Beiträge zu Kirche und Theologie im Umfeld der Weltkriege. Seit 2016 Wendung zu einer Theologie der Tiere unter der Voraussetzung, dass die Herrschaft der Menschen über die Tiere Ursprung und Modell aller gesellschaftlichen Gewaltverhältnisse ist. Erste Veröffentlichung dazu "Alles, was atmet. Eine Theologie der Tiere" (2018) zusammen mit Simone Horstmann und Gregor Taxacher. 2019 legte Ruster mit "Balance of Powers" einen Vorschlag für eine neue Gestalt des kirchlichen Amtes vor.
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