Beschreibung
Im Sommer 1864 verkaufte ein Mann Zwangsjacken. Es war heiß auf dem Marktplatz am Heiligengeistfeld vor den Toren Hamburgs. Die Menschen bestaunten seine seltsame Ware. Der Mann kam aus der Heil- und Irrenanstalt Friedrichsberg. Er war kein Patient. Er war der Leiter. Am Abend des Tages lachte der Mann Fanny Nielsen an und sagte, es sei keine einzige Jacke übrig geblieben. Nicht eine. Er habe den Zwang verkauft. Fanny Nielsen, einer Schauspielerin, gefiel diese Formulierung. Sie legte dem Mann eine Hand auf den Unterarm. Bald darauf kam es zu einem Unglück. Andreas Kollender hat sich beim Schreiben von dem historischen Ludwig Meyer inspirieren lassen, einem kämpferischen Psychiater, der seiner Zeit weit voraus war. Meyer, der die Wirren der 1848er-Revolution miterlebt hat, lehnte jegliche Form der Unterdrückung ab und wollte die Welt nicht nur für seine Patienten besser machen. Kollender hat einen brillanten Roman über einen humanen Reformer und dessen Leidenschaft für die freiheitsliebende Fanny geschrieben.
Leseprobe
Eine alte Frau prüfte zwischen Daumen und Zeigefinger den dicken Stoff und griff nach drei Jacken. Ob Ludwig bald zufällig die Enkel der Frau in stabilen Hosen, geschneidert aus dem Stoff der Jacken, in der Stadt sehen würde? Er hatte die Jacken zweimal reinigen lassen und dem Mann in der Dampfwäscherei in Friedrichsberg zugeschaut, wie er sie zu großen Haufen zusammenlegte, daran roch und sagte, die seien wie neu. Wer kaufte hier Zwangsjacken? Und warum? Reinhardt wurde gefragt, ob in dem Ding ein echter Irrer gesteckt habe. "Waschecht und total irre", sagte Reinhardt.