banner-tegeler-buecherstube-hdneu.jpg

banner-buchhandlung-menger-hdneu.jpg

banner-buchhandlung-haberland-hdneu.jpg

banner-buchhandlung-anagramm-hd_1.jpg

0

Berlin Palace

Roman

Erschienen am 24.02.2010
Auch erhältlich als:
20,00 €
(inkl. MwSt.)

Lieferzeit unbestimmt

In den Warenkorb
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783608501063
Sprache: Deutsch
Umfang: 224 S.
Format (T/L/B): 2.4 x 21.5 x 14.8 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

In einer nahen Zukunft wird die westliche Welt ihre globale Vormachtstellung an China verloren haben. Deutsche Arbeiter verlassen die marode Heimat, um in Asien ihr Glück zu finden. Doch die Germanen sind in China nicht nur geduldet - sie sind Kult. Der Werbefilmer Ai, ein junger Chinese, begeistert sich für germanische Folklore, die sich von der 'Schwalbenstadt', einem futuristischen Vorstadtslum ausbreitet. Ai liebt die Märchen der Gebrüder Grimm, er liebt die deutsche Küche und die deutsche Musik. Doch vor allem liebt er Olympia, eine junge Schauspielerin, die in ihm zwar einen Freund, aber nicht ihren Geliebten sieht. Als Ai den Auftrag für einen Werbefilm erhält, in dem Olympia die Hauptrolle spielen soll, sieht er seine Chance.

Autorenportrait

Jörg-Uwe Albig, geboren 1960 in Bremen, studierte Kunst und Musik in Kassel, war Redakteur beim Stern und lebte zwei Jahre als Korrespondent einer deutschen Kunstzeitschrift in Paris. Seit 1993 arbeitet er als freier Autor in Berlin. 1999 wurde sein Romandebüt 'Velo' veröffentlicht. Es folgten die Romane 'Land voller Liebe', 'Berlin Palace', 'Ueberdog', 'Zornfried' und zuletzt das Sachbuch 'Moralophobia'.

Leseprobe

1 Es war kurz vor Mittag, der Himmel hoch. Schwalben stürzten von Glaswänden in die Tiefe. Ich fuhr mit Meister Zhao durch die Straßen. Die Ampel schaltete auf Rot, dann auf Grün. Als der Ausländer sich auf unsere Kühlerhaube stürzte, hatte ich den Fuß schon auf dem Gas. Nie zuvor hatte ich mir die Männer genauer angesehen, die Tag für Tag an dieser Kreuzung lauerten, mit ihren Wassereimern, ihren Ledertüchern und Gummiwischern, ihren Blicken voll Sanftmut und bezwungenem Stolz. Immer hatte ich nur auf die Hände geachtet, die nach getaner Arbeit durchs Seitenfenster ragten, hatte einen Zehner hineingelegt und die Scheibe hochsurren lassen. Bisweilen, wenn die Hände besonders feucht waren, gab ich auch einen Zwanziger. Dieser Mann aber hauchte auf die Windschutzscheibe, überzog sie mit zartem Reif. Dann zog er die Zunge durch den Staubfilm, der im scharfen Licht flirrte. 'Fahr weiter', knurrte Meister Zhao und verdrehte die Augen. 'Ich kann nicht', wandte ich ein. Ich ließ den Motor der Konkubine aufheulen, aber ließ die Kupplung nicht los. Hinter uns brandeten Huptöne auf, kamen näher, zogen vorbei, setzten fern wieder ein und fluteten von neuem heran. 'Der hört nicht mehr auf', schnalzte Meister Zhao. 'Dem schmeckt's.' Der Ausländer, dünn und weiß, hatte jetzt nichts Sanftes mehr an sich. Sein Lecken war Zorn und Hass. 'Vielleicht hat er lange nichts gegessen', vermutete ich. Ich sah seine Haut, das Weiß, das aus dem quergestreiften Polohemd quoll. Ich sah das Haar, dessen Farbe wie Kot war, wie lehmige, fruchtbare Erde. Gebannt verfolgte ich das Wischen der Zunge. Die Ausländer, die an dieser Kreuzung warteten, sahen anders aus als die Ausländer meiner Kindheit, die zur Zeit des Zweiten Großen Sprungs ins Land gekommen waren, zur Zeit der Jahrtausendwende, zur Zeit unserer Wiedergeburt. Es waren ja Tigerzeiten gewesen damals, Schwellenzeiten, und wie Tiger waren sie über unsere Schwelle gesetzt, gefährlich lächelnd. Sie hatten im Kempinski gewohnt, im Lido und im Grand Hotel, hatten Chauffeure gehabt und Maßanzüge. Unsere Frauen telefonierten nachts im Hyatt die Zimmernummern durch, um schließlich einen Belgier am Apparat zu haben, der sie mitnahm. 'Schau dir bloß diese Zunge an', staunte jetzt Meister Zhao. Wir starrten auf das hellrosa Organ, das sich krümmte, streckte und plattdrückte an unserer Scheibe, das an der Druckfläche schimmelbleich war wie der Rest der Gestalt. 'Vielleicht ist er krank', mutmaßte ich. 'Gut, dass die Scheibe zwischen uns ist.' 'Ich meine die Größe', sagte Meister Zhao und starrte. 'Wie eine Schweineleber.' Von den Straßenlinden schwebten Blüten herab, langsam, wie Tang im Wasser. Sie verharrten auf der Scheibe, als hätte jemand einen Film angehalten. Die Zunge machte sich über sie her, leckte senkrechte Schneisen durch ihr Gewölk, zog Querlinien, legte Lichtungen frei. Durch die Lücken sahen wir die Brauen des Mannes, seine Lider, geschlossen wie vor Schmerz oder Lust. 'Lindenblütentee', sagte Meister Zhao, zeigte auf die Zunge, die weißen Flocken, die sich sammelten in ihrer Kerbe. 'Gut für die Bronchien.' Mit der Zeit hatten immer weniger Ausländer unsere Stadt bevölkert, und schließlich waren sie ganz weggeblieben. Sie hatten nun selber ein Schwellenland daheim, wo sie Treppensteigen üben konnten; doch die Schwellen führten abwärts, nicht aufwärts. Und als sie eines Tages zurückkamen in sickernden, verzweigten Rinnsalen, sahen sie anders aus, kleiner, seltsam mutiert. Ihre Stimmen waren leiser geworden, ihre Augen unsteter. Jetzt schien es, als trügen sie ein Geheimnis mit sich herum; vielleicht war es das Geheimnis der großen Zahl. Der Kopf des Ausländers schwang jetzt in langen Schwüngen auf und ab. Ich dachte an Elefanten im Zoo. Die Ampel zeigte Rot, Grün, Rot, dann wieder Grün; jedes Grün löste Huptöne aus. 'Rot', schmetterte Meister Zhao begeistert. Ich zog eine Packung Scharlachkamelie aus der Jackentasche, hielt inne, weil der Ausländer uns jetzt anstarrte. Sein Blick sah entsetzt aus, die Rundaugen noch runder, die Iris eine Münze im Schnee. Er lag jetzt fast quer über der Kühlerhaube, das Becken ans glühende Blech geschmiegt. In der Militärhose zappelten seine Beine, als ginge es um Leben und Tod. Mit kindischem Lächeln streckte Meister Zhao die Hand aus, ließ den Scheibenwischer rucken, stoppte ihn kurz vor den Lippen des Migranten. Ich wollte Zhaos Gealber nicht mehr sehen. 'Wie viel gibt man da', fragte ich schnell, mit heiserer Stimme. 'Sind zwanzig genug.' 'Der soll sich an Lindenblüten sattessen', sagte Meister Zhao. Ich wusste, dass das ein Scherz war. Ich wusste, er würde gleich einen Geldschein hervorziehen, den Hunderter mit dem blassgrünen Shenzhou-5- Raumschiff auf der Rückseite, ihn zum Kranich falten und mit Schwung durch das Seitenfenster werfen. Hinter uns addierte sich das Hupen zum Chor. Neuer Blütenregen schwebte auf uns herab. Die Migrantenzunge umspielte eine Fliegenleiche; sie rotierte und presste und wischte wie im Zorn. Dann leckte der Mann sich wie zerstreut über die Schneidezähne, die gelb abstachen vom Weiß seiner Haut. 'Die Scheibe hatte es nötig', sagte ich flau, zog mit der kalten Scharlachkamelie einen Schnörkel durch die Luft. Ich sah Meister Zhao an. Die Sonnenbrille von Ayatollah Wen machte ihn zum Insekt, zu einem sanften, schwermütigen Käfer. Ich atmete, als würde ich rauchen. 'Vielleicht versteht der keine chinesischen Hupen', bellte Meister Zhao. Er griff nach dem Schaltknauf; ich kam ihm zuvor und packte seine Hand. 'Ich kenne Ausländer, die sehr gut Chinesisch sprechen', log ich; Meister Zhao spuckte sein Süßholz auf den Handrücken. Der Ausländer kniete jetzt vierbeinig auf der Kühlerhaube. Seine Zunge fuhr gerade über den Oberrand der Scheibe, als vier Männer in Büroanzügen ihn packten. Es waren rechtschaffene Männer, Männer mit Eheringen, Männer mit polierten, lachenden Zähnen. Eine Frau im flussgelben Strickkleid stand dabei und rief: 'Endlich', die Arme wütend in die Hüften gestemmt. Empört starrte sie auf mein glühendes Ohr. Die Männer packten den Ausländer an Armen und Beinen, ließen ihn nach beharrlichem Zerren zu Boden. Er glitt an der Fahrerseite der Konkubine entlang. Der Älteste, Sonnenbrille im Weißhaar, strich dem Fremden geduldig den Hemdkragen glatt. 'My good friend', sagte er und zog ihn am Ohr, 'du bist hier nicht in Disneyland.' Es ist immer ein Ereignis, wenn Meister Zhao aus einem Wagen steigt. Er öffnete die Tür, stieg wie eine Flut; während er den Wagen umrundete, sah er niemanden an. 'Auseinander', sagte er nur, der Mund breit, als würde er lachen. Dann legte er dem Weißhaarigen die Hand auf die Schulter. Der Alte sah zu ihm auf. An der Hose klopfte er sich die Hände ab. Ergeben blies er die Backen auf, zog sich mit den anderen Zornigen zurück in die Autoschlange, die sie verschluckte, als wären sie Ratten. Auf der LCD-Fassade des Panda Tower erschien ein neues Bild, der grimmige Kopf eines Kriegers; er gehörte einem knienden Bogenschützen aus der Terrakottaarmee. 'Du ganz ruhig, Kamerad', sagte Meister Zhao zu dem Ausländer. 'Du Schwede', tippte er, krümmte die Zeigefinger hornförmig am Schädel. 'Oder Amerikaner', schlug er vor, formte die Rechte zum Revolver. Ich sah den speckigen Boden der Militärhose, der glänzte wie Schlangenhaut. Ich sah, wie Meister Zhao eine Banknote aus der Tasche zog und sie auf die feuchte Handfläche des Mannes klebte: 'Für Ihre Mühe', sagte er heiter. 'Und, wenn's Ihnen nichts ausmacht, für eins Ihrer munteren Lieder.' Die Lindenblüten begannen wieder zu schneien. Der Ausländer sah mich an, als könnte ich ihm helfen. Er atmete schwer, starrte verstört auf meine Lippen, blickte zurück zu Meister Zhao, seinem aufmunternd schräggelegten Kopf. Dann sah er uns an mit dem Froschlächeln seines Menschenschlags, zog die Schultern hoch und hob die Handflächen zum Himmel. Noch immer segelten Blüten in sein Schlammhaar. 'Nicht versteh', klagte er. 'Nicht versteh!' Meister Zhao hatte genug. Er... Leseprobe

Schlagzeile

Große Literatur und wilder Humor

Weitere Artikel aus der Kategorie "Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)"

Alle Artikel anzeigen